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Ein geschenkter Tag

Ein geschenkter Tag

Titel: Ein geschenkter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Gavalda
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Weile begann er vor Schmerzen zu wimmern und versuchte dabei, seine Pfote abzulecken. Er blutete.
     
    Lola kam zu mir und fragte:
    »Huch, wo kommt denn dieser Hund her?«
    Ich hob den Kopf, sah sie an und antwortete mit schwacher Stimme:
    »Ich spinne.«
     
    Er hatte jetzt die volle Aufmerksamkeit von uns allen. Vincent war losgezogen, um Wasser für ihn zu holen, Lola bereitete was zu fressen für ihn zu, und Simon hatte aus dem kleinen gelben Salon ein Kissen stibitzt.

     
    Der Hund soff wie ein Loch und plumpste in den Staub. Wir trugen ihn in den Schatten.
     
    Eine völlig verrückte Geschichte.
     
    Dann bereiteten wir ein Picknick vor und gingen hinunter zum Fluss.
    Der Gedanke, der Hund könnte bei unserer Rückkehr womöglich verendet sein, schnürte mir die Kehle zu. Aber schließlich ... er hatte sich eine schöne Stelle dafür ausgesucht. Und die besten Klageweiber ...
     
    Die Jungs verkeilten die Flaschen zwischen den Steinen am Wasser, während wir eine Decke ausbreiteten. Wir setzten uns, und Vincent sagte:
    »Schau, da ist er wieder ...«
    Der Hund hatte sich von neuem zu mir geschleppt. Er rollte sich zusammen, kuschelte sich an mein Bein und schlief gleich wieder ein.
     
    »Ich glaube, er will dir was sagen«, meinte Simon.
    Sie lachten alle drei und machten sich über mich lustig:
    »He Garance, zieh nicht so ein Gesicht! Er liebt dich, das ist alles. Komm schon ... Cheese ... So schlimm ist es doch gar nicht.«
     
    »Aber was soll ich denn mit einem Köter?! Könnt ihr euch vorstellen, wie ich zusammen mit einem Hund in meiner winzigen Einzimmerwohnung im sechsten Stock hause?«
    »Du kannst nichts dafür«, sagte Lola, »denk an dein Horoskop. Du wirst von Venus im Löwen beherrscht, damit musst du dich einfach abfinden. Das ist die große Begegnung, auf die du dich vorbereiten solltest. Ich hatte dich gewarnt ...«
    Sie amüsierten sich noch mehr.
    »Nimm es als Zeichen des Schicksals«, sagte Simon, »der Hund kommt zu deiner Rettung ...«
    »... damit du ein gesünderes, ausgeglicheneres Leben führst«, bekräftigte Lola.
    »... damit du morgens aufstehst und mit ihm Gassi gehst«, setzte Simon nach, »damit du dir einen Jogginganzug kaufst und am Wochenende ins Grüne fährst.«
    »Damit du einen geregelten Tagesablauf hast, damit du Verantwortung übernimmst«, stimmte Vincent zu.
    Ich war am Ende.
    »Scheiße, alles, bloß nicht joggen ...«
     
    Vincent, der eine Flasche aufmachte, sagte schließlich:

    »Außerdem ist er ganz süß.«
    Tja, das sah ich genauso. Seine Haut schälte sich, sein Fell war zerfressen, er war eine armselige, schorfbedeckte, zerlumpte Promenadenmischung, aber -unwiderstehlich.
    »Nach allem, was er auf die Beine gestellt hat, um dich zu finden, bringst du es doch nicht übers Herz, ihn im Stich zu lassen, hoffe ich?«
    Ich beugte mich vor und betrachtete ihn. Er roch schon ein bisschen merkwürdig.
    »Willst du ihn ins Tierheim stecken?«
    »He, wieso ich? Wir haben ihn zusammen gefunden, wenn ich euch daran erinnern darf!«
    »Sieh nur«, stieß Lola aus, »er lächelt dich an!«
    Fuck. Es stimmte. Er hatte sich umgedreht und ganz schwach mit dem Schwanz gewedelt, dabei die Augen geöffnet und in meine Richtung geschaut.
    Oh! Warum? Warum ich? Würde er überhaupt in mein Fahrradkörbchen passen? Und was war mit der Concierge, die mir gegenüber ohnehin schon große Ressentiments hegte ...
    »Und was frisst so ein Tier?«
    »Und wie lange lebt es?«
    »Und die kleinen Tütchen, mit denen man die Hundekacke aufliest? Die Leine, die automatisch blockiert, die albernen Gespräche mit den Nachbarn, die nach dem Film gemeinsam das Bein heben gehen, und die Behälter zur Entsorgung von Hundekot?« Mein Gott!
     
    Der Bourgueil war ziemlich kühl. Wir knabberten auf Schweinegrieben, futterten Brote, die dick mit Rillettes bestrichen waren, genossen lauwarme, süßlich schmeckende Tomaten und mit Asche gepuderten Ziegenkäse sowie Birnen direkt aus dem Garten.
     
    Es ging uns gut. Das Wasser gluckerte, der Wind fuhr durch die Bäume, und die Vögel schwatzten. Die Sonne spielte mit dem Fluss, tauchte auf, verzog sich wieder, torpedierte die Wolken und strich über die Böschung. Mein Hund träumte von Pariser Asphaltstraßen und knurrte vor Glück, und die Fliegen ärgerten uns.
     
    Wir sprachen über dieselben Dinge wie als wir zehn, fünfzehn oder zwanzig waren, das heißt über Bücher, die wir gelesen, Filme, die wir gesehen, Musik, die wir gehört hatten,

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