Ein geschenkter Tag
und Internetseiten, auf die wir gestoßen waren. Über das Digitalisierungsprojekt der Nationalbibliothek, die vielen neuen Online-Schätze,
Musiker, die uns imponierten, über Zugbilletts, Konzertkarten oder Entschuldigungsbriefchen, die wir uns gönnen wollten, über Ausstellungen, die wir notgedrungen verpassen würden, über unsere Freunde, die Freunde unserer Freunde und die Liebesbeziehungen, die wir erlebt hatten - oder auch nicht. Häufig eher nicht, und darin waren wir am besten. Im Erzählen, meine ich. Wir lagen im Gras, bestürmten einander mit Fragen, wurden von allen möglichen Insekten gebissen, veralberten uns und zogen uns Lachkrämpfe und Sonnenbrände zu.
Und dann redeten wir über unsere Eltern. Wie immer. Über Mama und Pop. Über ihr neues Leben. Über ihre Liebesbeziehungen und unsere Zukunft. Kurzum, über die wenigen Dinge und die wenigen Leute, die unser Leben ausfüllten.
Es war nicht viel, es waren nicht viele, und doch -es nahm kein Ende.
Simon und Lola erzählten uns von ihren Kindern. Von ihren Fortschritten, ihren Streichen und den Sätzen, die sie eigentlich hatten aufschreiben wollen, um sie nicht zu vergessen. Vincent hat uns lange von seiner Musik erzählt. Sollte er weitermachen? Wo? Wie? Mit wem? Und welche Hoffnungen konnte er damit verbinden? Und ich erzählte ihnen von einem neuen Mitbewohner, der diesmal, doch, doch, legal hier lebte, erzählte von meiner Arbeit, meinen Schwierigkeiten, mich als angehende Richterin zu begreifen. So viele Studienjahre und so wenig Selbstvertrauen am Ende, das war nicht gut.
Hatte ich vielleicht irgendwo eine Weichenstellung verpasst? Wo war die Sache in die Hose gegangen? Und gab es irgendwo jemanden, der auf mich wartete? Die drei anderen sprachen mir Mut zu, bauten mich auf, und ich gab vor, ihnen in ihrer wohlwollenden Einschätzung recht zu geben.
Im übrigen bauten wir uns alle gegenseitig auf und gaben vor, einander recht zu geben.
Schließlich war das Leben trotz allem auch ein bisschen Bluff, oder?
Das Spieltuch ist zu kurz, und es fehlen Steine. Unser Blatt ist zu schlecht, als dass wir mitbieten könnten ... Das räumten wir gern ein, alle vier, mit unseren großen Träumen und der Miete, die am Fünften jeden Monats fällig war.
Daraufhin öffneten wir noch eine Flasche, um uns ein wenig Mut zu machen!
Vincent brachte uns zum Lachen, als er uns von seiner letzten Liebesenttäuschung erzählte:
»He, versetzt euch mal an meine Stelle! Ein Mädchen, dem ich zwei Monate lang hinterherrenne, auf das ich vor der Uni sechs Stunden lang warte, das ich dreimal zum Essen einlade, zwanzigmal nach Hause bringe, in ein Kaff am Arsch der Welt wohlgemerkt, und das ich in die Oper einlade für hundertzehn Kröten der Platz! Scheiße!«
»Und zwischen euch ist immer noch nichts passiert?«
»Nichts. Nada. Rien. Scheiße Mann! Zweihundertzwanzig Euro! Könnt ihr euch vorstellen, wie viele Platten ich mir davon hätte kaufen können?«
»Also echt, ein Typ, der so kleinkariert rechnet, da verstehe ich die Frau ...«, spottete Lola.
»Hast du - hast du denn versucht, sie zu küssen?«, fragte ich arglos.
»Nee. Das habe ich mich nicht getraut. Das ist ja das Dumme.«
Großartiger Abend der Sticheleien.
»Ich weiß. Ich bin zu schüchtern, das ist doof...«
»Wie heißt sie denn?«
»Eva.«
»Welche Nationalität?«
»Keine Ahnung. Dabei hat sie's mir gesagt, ich hab es nur nicht verstanden.«
»Verstehe. Und äh - hast du das Gefühl, da sei noch was zu machen?«
»Schwer zu sagen. Aber sie hat mir Fotos von ihrer Mutter gezeigt.«
Zu viel war zu viel.
Wir wälzten uns im Gras, während unser Don Juan erfolglos versuchte, Steine übers Wasser springen zu lassen.
»Oh«, flehte ich, »darf ich die haben?«
Lola riss eine Seite aus ihrem Skizzenblock heraus, reichte sie mir und verdrehte die Augen.
Es war ihr tatsächlich gelungen, die Noblesse meines heldenhaften Mischlings einzufangen, der träge in der Sonne lag. Das einzige männliche Wesen, wenn ich es recht bedenke, das jemals mit einer solchen Ausdauer hinter mir hergerannt ist...
Die nachfolgende Zeichnung war eine wunderschöne Schlossansicht.
»Vom englischen Garten aus«, erklärte Vincent.
»Wir sollten sie Pop schicken und ihm einen Gruß dazuschreiben«, schlug Schwester Lola vor.
(Unser Pop besaß kein Handy.) (Wohlgemerkt: Er hatte auch nie einen Festnetzanschluss besessen ...)
Wie schon so oft hatte Lola eine gute Idee,
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