Ein Gesicht in der Menge
Dummheiten, die manche von uns in der Schule begangen haben, rückgängig machen könnte, dann wär das Ding bis ins dreiundzwanzigste Jahrhundert ausgebucht, Soups, alter Kumpel.»
Exactamundo. Kindern konnte man keine Vorwürfe machen. Erwachsene wussten es besser, aber Kinder waren von Natur aus dumm. Und manchmal auch von Natur aus böswillig. Er glaubte sich an ein Mädchen in Neuseeland zu erinnern, das die Mutter ihrer besten Freundin mit einem Ziegelstein erschlagen hatte. Sie hatte mehr als fünfzigmal auf die arme Frau eingeschlagen, und als sie für schuldig befunden wurde, kam sie wie lange ins Gefängnis? Sieben Jahre? Fünf? Noch weniger? Als sie rauskam, ging sie nach England und wurde Stewardess. Später wurde sie eine sehr beliebte Krimiautorin. Wer hatte ihm das erzählt? Ellie natürlich. El war eine begeisterte Krimileserin gewesen und hatte immer – oft mit Erfolg – versucht, den Täter zu erraten.
«Soupy», sagte er zu seinem allmählich heller werdenden Schlafzimmer, «du kannst mir nicht die Schuld geben. Ich plädiere auf verminderte Zurechnungsfähigkeit.» Dabei musste er lächeln.
Und als hätte er noch darauf gewartet, um einschlafen zu können, kam ihm ein weiterer beruhigender Gedanke:
Ich muss mir das Spiel heute Abend nicht ansehen. Nichts zwingt mich dazu.
Er wachte erst kurz nach Mittag auf, das erste Mal seit dem College, dass er so lange geschlafen hatte. In der Küche erwog er kurz, Haferbrei zu essen, briet sich dann aber drei Eier in Butter. Wenn er Speck gehabt hätte, hätte er ein paar Scheiben dazugegeben. Zumindest schrieb er ihn auf die Einkaufsliste, die mit einem Gurkenmagnet am Kühlschrank befestigt war.
«Heute Abend kein Spiel für mich», sagte er zu der leeren Wohnung. «Vielleicht könnt ich ja …»
Er hörte, dass er wieder Lester Embrees Akzent nachahmte, und hielt verwirrt inne. Ihm kam in den Sinn, dass er vielleicht nicht an Demenz oder einer frühen Form von Alzheimer litt; vielleicht hatte er bloß einen normalen, ganz alltäglichen Feld-Wald-und-Wiesen-Nervenzusammenbruch. Das schien eine absolut vernünftige Erklärung für die jüngsten Ereignisse zu sein, doch Wissen bedeutete Macht. Wenn man begriff, was passierte, konnte man es doch auch beenden, oder?
«Ich könnte ins Kino gehen», sagte er in seinem eigenen Tonfall. Ruhig. Vernünftig. «Mehr wollte ich gar nicht sagen.»
Am Ende entschied er sich gegen einen Film. Obwohl es in der näheren Umgebung zwanzig Kinosäle gab, fand er nichts, was er sich gern angeschaut hätte. Stattdessen ging er ins Publix, wo er einen Korbvoll Köstlichkeiten kaufte (zum Beispiel ein Pfund von dem guten, dick geschnittenen Paprikaspeck, den Ellie so gern gegessen hatte, und ein paar Hamburger-Brötchen). Er wollte schon zur Expresskasse gehen, sah aber, dass die Kassiererin ein Rays-Trikot mit der 20 trug, Matt Joyces Nummer, und stellte sich lieber woanders an. Dort dauerte es zwar länger, doch er sagte sich, dass ihm das nichts ausmache. Er sagte sich auch, dass er sich nicht vorstelle, wie jemand in diesem Moment im Trop die Nationalhymne sang. Er hatte sich den neuen Harlan Coben als Taschenbuch gekauft, zur Abwechslung mal ein bisschen literarischer Speck. Er würde das Buch heute Abend lesen. Baseball konnte es nicht mit dem für Coben typischen Angst-und-Schrecken-in-der-Vorstadt aufnehmen, nicht mal, wenn Jon Lester auf Matt Moore traf. Wieso interessierte er sich überhaupt für eine so schlappe, langweilige Sportart?
Er räumte die Einkäufe ein und machte es sich mit dem Coben, der klasse war, auf dem Sofa gemütlich. Evers war so darin vertieft, dass ihm gar nicht auffiel, dass er die Fernbedienung genommen hatte, doch als er ans Ende des sechsten Kapitels gelangte und beschloss, eine Pause einzulegen, um ein Stückchen Pepperidge-Farm-Zitronenkuchen zu essen, hielt er das Ding in der Hand.
Schadet ja nichts, mal nachzusehen, wie’s steht
, dachte er.
Nur ein kurzer Blick und dann wieder ausschalten.
Die Rays lagen im achten Inning eins zu null vorn, und DeWayne Staats war so aufgeregt, dass er die ganze Zeit quasselte. «Ich will gar nicht davon reden, was heute Abend mit Matt Moore los ist, Leute – ich bin von der alten Schule –, sagen wir einfach, auf den Bases waren heute keine roten Socken zu sehen.»
Ein No-Hitter
, dachte Evers.
Moore schafft einen verdammten No-Hitter, und ich hab’s verpasst.
Großaufnahme von Moore. Er schwitzte, obwohl im Trop konstant zweiundzwanzig
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