Ein Gesicht so schön und kalt
»Suzanne Reardons
Vater!«
»Ja. Darum geht es. Irgend etwas Bizarres ist mit ihm los.«
Jetzt war es schon einfacher, offen mit der Sprache
herauszurücken. Sie berichtete ihm von den beiden Frauen, die
so aussahen wie Suzanne.
»Sie meinen, Smith gibt ihnen tatsächlich das Gesicht seiner
Tochter?« rief Dorso aus. »Was zum Teufel soll das bedeuten?«
»Genau das beschäftigt mich ja. Ich gehe am Samstag mit
Robin zu einem anderen plastischen Chirurgen. Ich habe vor,
ihn nach den chirurgischen Implikationen der Reproduktion
eines Gesichts zu fragen. Ich will auch versuchen, mit Dr. Smith
zu reden, aber mir kam der Gedanke, daß ich besser an ihn ran
käme, wenn ich das gesamte Protokoll des Verfahrens vorher
lesen könnte. Ich weiß, daß ich auch eine Kopie durch mein
Büro auftreiben kann - sie steckt irgendwo im Archiv -, aber das
würde eine Weile dauern, und ich will nicht, daß es sich
herumspricht, daß ich daran interessiert bin.«
»Ich sorge dafür, daß Sie morgen ein Exemplar in der Hand
haben«, versprach Dorso. »Ich lasse es an Ihr Büro gehen.«
»Nein, schicken Sie es mir lieber hierher. Ich gebe Ihnen die
Adresse.«
»Ich würd’s Ihnen gerne selbst vorbeibringen und mit Ihnen
reden. Wäre es ihnen morgen abend gegen sechs oder halb
sieben recht? Ich bleib bestimmt nur eine halbe Stunde,
versprochen.«
»Ich glaub’, das läßt sich machen.«
»Bis dann also. Und danke, Kerry.« Es klickte in der Leitung.
Kerry betrachtete den Telefonhörer. In was bin ich da nur
reingeraten? dachte sie. Die freudige Erregung in Dorsos
Stimme war ihr nicht entgangen. Ich hätte nicht den Ausdruck
»bizarr« verwenden sollen, überlegte sie. Ich hab’mich da auf
etwas eingelassen, was ich vielleicht gar nicht durchziehen
kann.
Ein Geräusch vom Herd her ließ sie herumwirbeln.
Kochendes Wasser war aus dem Spaghettitopf übergelaufen und
zischte jetzt in die Gasflamme. Ohne nachzusehen, wußte sie,
daß die Pasta al dente sich in eine klebrige Masse verwandelt
hatte.
18
Mittwoch nachmittags hatte Dr. Charles Smith keine
Sprechstunde. Dieser Zeitraum blieb gewöhnlich anstehenden
Operationen oder aber der Visite im Krankenhaus vorbehalten.
Heute jedoch hatte Dr. Smith seinen Terminkalender völlig
freigehalten. Als er die East Sixtyeighth Street entlang auf das
Gebäude aus braunem Sandstein zufuhr, in dem die
Presseagentur lag, bei der Barbara Tompkins arbeitete, machte
er erstaunte Augen über sein Glück. Gegenüber von dem
Gebäude war ein freier Parkplatz; so konnte er hier im Wagen
sitzen bleiben und darauf warten, bis sie herauskam.
Als sie dann endlich im Eingang erschien, lächelte er
unwillkürlich. Sie sah entzückend aus, fand er. Wie er ihr
vorgeschlagen hatte, trug sie ihre Haare offen; so bildeten sie
den besten Rahmen für ihr neues Gesicht. Sie hatte eine
gutsitzende rote Jacke an, einen schwarzen Rock, der bis zu den
Knöcheln reichte, und zierliche Schnürstiefel. Aus der Ferne
wirkte sie smart und erfolgreich. Wie sie von nahem aussah,
wußte er bis ins kleinste Detail.
Als sie ein Taxi heranwinkte, ließ er den Motor seines zwölf
Jahre alten schwarzen Mercedes an und fuhr los. Obwohl sich
auf der Park Avenue wie stets während des Berufsverkehrs
Stoßstange an Stoßstange reihte, war es kein Problem, dem Taxi
zu folgen.
Sie fuhren südwärts, und schließlich blieb das Taxi vor der
Bar The Four Seasons an der East Fift ysecond stehen. Barbara
trifft sich offenbar dort mit irgendwem auf einen Drink. Das
Lokal war zu dieser Stunde bestimmt voller Leute. Es würde
nicht schwierig für ihn sein, sich hineinzuschmuggeln, ohne
bemerkt zu werden.
Dann schüttelte er den Kopf und beschloß, lieber nach Hause
zu fahren. Der kurze Blick auf sie reichte vollauf. War sogar
eigentlich schon zuviel, wenn er es sich recht überlegte. Einen
Moment lang hatte er wirklich geglaubt, Suzanne vor Augen zu
haben. Jetzt wollte er einfach nur allein sein. Ein Schluchzen
stieg in seiner Kehle hoch. Während der Verkehr
zentimeterweise vorrückte, sagte er wieder und wieder vor sich
hin: »Es tut mir leid, Suzanne. Es tut mir leid, Suzanne.«
Donnerstag, 26. Oktober
19
Wenn Jonathan Hoover zufällig in Hackensack war, versuchte
er normalerweise, Kerry zu einem raschen gemeinsamen Lunch
zu überreden. »Wie viele Teller Kantinensuppe kann ein
Mensch denn essen?« zog er sie dann auf.
Heute saßen sie bei einem Hamburger im Restaurant Solari’s
um die Ecke
Weitere Kostenlose Bücher