Ein Gesicht so schön und kalt
hatte bisher die Frage aufgeworfen, ob er womöglich
Suzanne selbst operiert hatte.
Kerry und Robin waren gerade mit dem Mittagessen fertig,
als Bob anrief und vorschlug, Robin am Abend zum Essen
auszuführen. Er erklärte, Alice sei mit den Kindern eine Woche
nach Florida gereist und er selbst wolle in die Catskills fahren,
um sich eine Skihütte anzuschauen, die sie möglicherweise
kaufen wollten. Ob Robin nicht mitkommen wolle? fragte er.
»Ich schulde ihr noch ein Abendessen, und ich bring sie ganz
bestimmt bis neun wieder zurück.«
Robins begeisterte Zusage führte dazu, daß Bob sie eine
Stunde später abholte.
Der unerwartete freie Nachmittag gab Kerry die Gelegenheit,
sich wieder eine Weile mit dem Prozeßprotokoll zum Fall
Reardon zu befassen. Die Lektüre als solche vermittelte ihr zwar
ein gewisses Maß an Erkenntnissen, aber ihr war klar, daß ein
großer Unterschied zwischen dem Lesen einer nüchternen
Aufzeichnung und dem Beobachten der Zeugen bei ihrer
Aussage bestand. Sie hatte weder ihre Gesichter gesehen, noch
die Stimmen gehört oder die Körpersprache ihrer Reaktionen
auf die Fragen mitbekommen. Sie wußte, daß die Bewertung des
Verhaltens der Zeugen durch die Geschworenen zweifellos
einen großen Anteil am Ausgang ihrer Entscheidungsfindung
hatte. Diese Jury hatte Dr. Smith beobachtet und eingeschätzt.
Es lag auf der Hand, daß sie ihm geglaubt hatten.
Geoff Dorso liebte Football und war ein glühender Verehrer
der Giants. Das war zwar nicht der Grund, weshalb er sich eine
Eigentumswohnung in den Meadowlands gekauft hatte, aber er
gab zu, daß es gewiß praktisch war. Und doch beschäftigte ihn,
während er an diesem Sonntag nachmittag im Stadion der Giants
saß, weniger das laufende und sehr ausgeglichene Spiel gegen
die Dallas Cowboys als das Treffen mit Skip Reardon am Tag
zuvor und Kerry McGraths Reaktion auf Skip selbst und auf die
Prozeßakte.
Er hatte ihr die Unterlagen am Donnerstag gebracht. Ob sie
das Protokoll wohl schon gelesen hatte? fragte er sich. Er hatte
gehofft, sie werde darüber reden, als sie auf den Termin mit
Skip warteten, aber sie hatte es nicht erwähnt. Er versuchte sich
vor Augen zu halten, daß sie schließlich darauf trainiert war,
skeptisch zu sein, und daß ihre anscheinend negative Resonanz
auf die Unterredung mit Skip noch nicht bedeutete, daß sie mit
dem Fall nichts weiter zu tun haben wollte.
Als die Giants am Ende des letzten Spielviertels in letzter
Sekunde ein field goal erzielten, nahm Geoff an dem
vehementen Siegesjubel teil, lehnte aber dankend ab, als
Freunde ihn dazu einluden, mit ihnen ein paar Bier trinken zu
gehen. Er fuhr statt dessen nach Hause und rief Kerry an.
Er war überglücklich, als sie einräumte, das Protokoll gelesen
zu haben und daß sie noch einige Fragen dazu habe. »Ich würde
mich gern wieder mit Ihnen treffen«, sagte er. Dann hatte er
einen Einfall. Sie kann ja bloß ablehnen, überlegte er, während
er fragte: »Hätten Sie vielleicht heute abend Zeit, mit mir essen
zu gehen?«
Dolly Bowles war sechzig Jahre alt zu dem Zeitpunkt, als sie
zu ihrer Tochter nach Alpine zog. Das war nun zwölf Jahre her
und direkt, nachdem sie ihren Mann verloren hatte. Sie wollte
sich damals ja nicht aufdrängen, aber wenn sie ehrlich war, hatte
sie immer Angst davor gehabt, alleine zu sein, und glaubte
wirklich nicht, daß sie es ausha lten würde, in dem großen Haus
weiterzuleben, das sie gemeinsam mit ihrem Mann bewohnt
hatte.
Und es gab in der Tat auch einen Grund, zumindest einen
psychologischen, für ihre Verunsicherung. Lange Jahre zuvor,
als sie noch ein Kind war, hatte sie eines Tages einem
Lieferanten die Tür aufgemacht, der sich jedoch als Verbrecher
herausstellte. Sie hatte noch immer Alpträume davon, wie er
damals sie und ihre Mutter gefesselt und das ganze Haus auf den
Kopf gestellt hatte. Aus diesem Grund war sie jetzt mißtrauisch
gegenüber Fremden aller Art, und sie hatte ihren Schwiegersohn
mehrfach dadurch verärgert, daß sie den Notknopf des
Alarmsystems drückte, als sie allein zu Hause war und seltsame
Geräusche hörte oder einen ihr unbekannten Mann auf der
Straße bemerkte.
Ihre Tochter Dorothy und ihr Schwiegersohn Lou verreisten
häufig. Ihre Kinder hatten damals, als Dolly zu ihnen zog, noch
bei den Eltern gewohnt, und sie hatte dabei geholfen, sie zu
versorgen. Seit einer Reihe von Jahren jedoch waren sie
ausgezogen, und Dolly hatte fast
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