Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Gesicht so schön und kalt

Ein Gesicht so schön und kalt

Titel: Ein Gesicht so schön und kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
Vom Netzwerk:
werden?«
fragte Kerry.
»Ich glaube, das geht auf ein Erlebnis aus meiner Kindheit
zurück. Eine Frau in dem Haus, wo wir wohnten, Anna Owens,
war einer der nettesten Menschen, die mir je begegnet sind. Ich
weiß noch, wie ich einmal, als ich etwa acht war, durch die
Eingangshalle rannte, um den Lift noch zu erwischen, und mit
ihr zusammenstieß und sie umwarf. Jeder andere Mensch hätte
einen Tobsuchtsanfall gekriegt, aber sie hat sich wieder
aufgerappelt und gesagt: ›Geoff, der Lift kommt doch wieder.‹
Dann lachte sie. Sie hat gemerkt, wie verstört ich war.«
»Aber deshalb sind Sie doch nicht Verteidiger geworden.«
Kerry lächelte.
    »Nein. Aber drei Monate später, als ihr Mann sie im Stich
ließ, folgte sie ihm zur Wohnung seiner neuen Freundin und
erschoß ihn. Ich bin ehrlich davon überzeugt, daß sie
vorübergehend unzurechnungsfähig war, was ihr Anwalt auch
geltend machte, aber sie mußte trotzdem für zwanzig Jahre ins
Gefängnis. ›Mildernde Umstände‹ ist dabei das Schlüsselwort,
finde ich. Wenn ich glaube, daß sie gegeben sind, oder wenn ich
den Angeklagten für unschuldig halte, wie bei Skip Reardon,
dann übernehme ich den Fall.« Er machte eine Pause. »Und was
hat Sie dazu gebracht, Staatsanwältin zu werden?«
    »Das Opfer und die Familie des Opfers«, stellte sie schlicht
fest. »Nach Ihrer These hätte ich Bob Kinellen erschießen und
dann mildernde Umstände beanspruchen können.«
    Ein Blitzen in Dorsos Augen verriet eine leichte
Verstimmung, doch dann spiegelten sie eher Belustigung.
»Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, wie Sie jemanden
erschießen, Kerry.«
    »Ich auch nicht, außer…« Kerry zögerte und fuhr dann fort:
»Außer Robin käme in Gefahr. Dann würde ich alles und jedes
tun, um sie zu retten. Da bin ich mir sicher.«
    Im Verlauf des Abendessens fing Kerry unwillkürlich an, vom
Tod ihres Vaters zu erzählen. »Ich war in meinem zweiten Jahr
am Boston College. Er war Pilot bei PanAm gewesen und
wechselte später in die Verwaltung der Gesellschaft und wurde
zum amtierenden Vizepräsidenten befördert. Schon seit ich drei
Jahre alt war, nahm er meine Mutter und mich überall mit hin.
Für mich war er der großartigste Mensch auf der ganzen Welt.«
Sie schluckte schwer. »Und dann, als ich einmal zum
Wochenende zu Hause war, sagte er, er fühle sich irgendwie
nicht wohl. Aber er machte sich nicht die Mühe, zum Arzt zu
gehen, weil er gerade seine jährliche Vorsorgeuntersuchung
gehabt hatte. Er hat behauptet, am nächsten Tag sei er bestimmt
wieder in Ordnung. Aber am nächsten Morgen ist er nicht mehr
aufgewacht.«
»Und Ihre Mutter hat zwei Jahre später wieder geheiratet?«
fragte Geoff leise.
    »Ja, direkt bevor ich mit dem College fertig war. Sam war ein
Witwer und ein Freund von Dad. Er wollte sich gerade in Vail
zur Ruhe setzen, als Dad starb. Er hat ein wunderhübsches Haus
dort. Es hat ihnen beiden gutgetan.«
»Was hätte Ihr Vater von Bob Kinellen gehalten?«
     
Kerry lachte. »Sie haben ein feines Gespür, Geoff Dorso. Ich
glaube, er wäre alles andere als begeistert gewesen.«
     
Beim Kaffee besprachen sie schließlich den Reardon-Fall.
    Kerry machte den Auftakt mit dem freimütigen Bekenntnis:
»Ich war damals bei der Urteilsverkündung dabei, und sein
Gesichtsausdruck und das, was er sagte, haben sich mir
unauslöschlich eingeprägt. Ich hab’ schon eine Menge
schuldiger Leute schwören hören, daß sie unschuldig sind - was
hätten sie schließlich auch zu verlieren? -, aber seine Worte
hatten etwas an sich, was mich berührt hat.«
»Weil er die Wahrheit gesagt hat.«
    Kerry blickte ihm direkt ins Gesicht. »Ich warne Sie, Geoff,
ich habe die Absicht, den Advocatus Diaboli zu spielen, und
wenn mir auch beim Lesen der Prozeßakte eine Menge Fragen
kommen, so überzeugt mich das noch lange nicht, daß Reardon
unschuldig ist. Genausowenig hat es der Besuch gestern getan.
Entweder Skip Reardon lügt, oder aber Dr. Smith lügt. Reardon
hat einen ausgesprochen triftigen Grund zu lügen. Smith
dagegen nicht. Ich finde es nach wie vor äußerst dekuvrierend,
daß Reardon ausgerechnet am Tag von Suzannes Tod über eine
Scheidung geredet hat und offenbar ausgenippt ist, als er erfuhr,
was sie ihn kosten könnte.«
    »Kerry, Skip Reardon war ein Selfmademan. Er hat sich aus
eigener Kraft emporgearbeitet und ist sehr erfolgreich
geworden. Suzanne hatte ihn bereits ein Vermögen gekostet. Sie

Weitere Kostenlose Bücher