Ein Gesicht so schön und kalt
Gefängnis besucht hatte und allmählich ihre Zweifel
über die Art der Prozeßführung von damals habe, wobei
allerdings alles, was sie unternehme, durchaus inoffiziell sei.
Palumbo stieß einen Pfiff aus.
»Und, Joe, es wäre mir lieb, wenn das unter uns bleiben
könnte. Frank Green ist nicht gerade glücklich über mein
Interesse an dem Fall.«
»Na, warum wohl«, murmelte Palumbo.
»Dabei hat Green mir neulich selbst gesagt, daß Dr. Smith ein
völlig emotionsloser Zeuge war. Ist doch seltsam bei dem Vater
eines Mordopfers, findest du nicht? Er sagte unter Eid aus, daß
er und seine Frau sich getrennt hatten, als Suzanne noch ein
Baby war, und er einige Jahre später ihrer Adoption durch ihren
Stiefvater, einen Mann namens Wayne Stevens, zugestimmt hat,
und daß sie in Oakland, Kalifornien, aufgewachsen ist. Ich
möchte, daß du Stevens ausfindig machst. Ich würde allzugern
von ihm erfahren, was für ein Kind eigentlich Suzanne früher
war, und insbesondere möchte ich ein Foto von ihr als Teenager
sehen.«
Sie hatte eine Reihe von Seiten aus dem ReardonProzeßprotokoll herausgenommen. Jetzt schob sie die Blätter
Palumbo über den Schreibtisch zu. »Da ist die Aussage der
Frau, die am Mordabend bei Nachbarn auf der anderen
Straßenseite auf die Kinder aufgepaßt hat und die behauptet, sie
hätte damals gegen neun Uhr abends einen fremden Wagen vor
dem Haus der Reardons gesehen. Sie lebt - oder lebte - mit ihrer
Tochter und ihrem Schwiegersohn zusammen in Alpine.
Überprüf sie für mich, okay?«
Palumbos Augen spiegelten ein starkes Interesse wider. »Ist
mir ein Vergnügen, Kerry. Du tust mir einen Gefallen damit.
Würde mir höllische Freude machen, wenn zur Abwechslung
mal unser Anführer ins Visier gerät.«
»Hör mal, Joe, Frank Green ist ein anständiger Kerl«, hielt
Kerry ihm entgegen. »Ich bin nicht drauf aus, ihm Sand ins
Getriebe zu streuen. Ich hab’ einfach das Gefühl, daß bei dem
Fall noch Fragen offen sind, und, ehrlich gesagt, ich fand Dr.
Smith und die Begegnung mit seinen DoppelgängerPatientinnen ziemlich gespenstisch. Wenn die Möglichkeit
besteht, daß der falsche Mann im Gefängnis sitzt, dann fühle ich
mich verpflichtet, der Sache nachzugehen. Aber ich tu’s nur,
wenn ich davon überzeugt bin.«
»Ist mir vollkommen klar«, erwiderte Palumbo. »Und versteh’
mich nicht falsch. Ich bin weitgehend deiner Meinung, daß
Green schon in Ordnung ist. Mir ist einfach jemand lieber, der
nicht jedesmal in Deckung geht, sobald irgendwer in seiner
Abteilung unter Beschuß gerät.«
Als Dr. Charles Smith nach dem Gespräch mit Kerry
McGrath den Hörer auflegte, merkte er, daß das kaum merkliche
Zittern, das von Zeit zu Zeit in seiner rechten Hand auftrat,
soeben wieder einsetzte. Er schloß seine linke Hand darüber,
konnte aber trotzdem noch fühlen, wie es in seinen
Fingerspitzen vibrierte.
Er hatte mitbekommen, daß Mrs. Carpenter ihn seltsam
angesehen hatte, als sie ihn von dem Anruf dieser McGrath in
Kenntnis setzte. Die Erwähnung von Suzanne hatte für die
Carpenter keinen Sinn ergeben, weshalb sie sicher neugierig
war, worum es bei diesem geheimnisvollen Anruf eigentlich
ging.
Nun schlug er Robin Kinellens Ordner auf und sah sich ihre
Unterlagen an. Er wußte noch, daß ihre Eltern geschieden
waren, aber er hatte sich noch nicht die persönlichen Daten
angeschaut, die Kerry McGrath zusammen mit Robins
medizinischen Fakten eingereicht hatte. Da stand, daß sie
Beamtin bei der Staatsanwaltschaft von Bergen County war. Er
dachte einen Moment nach. Er konnte sich nicht erinnern, sie je
bei dem Prozeß gesehen zu haben…
Es klopfte an die Tür. Mrs. Carpenter steckte den Kopf herein,
um ihm ins Gedächtnis zu rufen, im Behandlungszimmer l warte
eine Patientin.
»Das weiß ich«, erklärte er brüsk und winkte sie hinaus. Er
wandte sich erneut Robins Akte zu. Sie war am elften und am
dreiundzwanzigsten zur Nachuntersuchung erschienen. Barbara
Tompkins war am elften zur Untersuchung dagewesen, und
Pamela Worth am dreiundzwanzigsten. Unglückliches Timing,
überlegte er. Kerry McGrath hatte sie vermutlich beide gesehen,
und das hatte irgendeine Erinnerung an Suzanne in ihr ausgelöst.
Minutenlang saß er an seinem Schreibtisch. Was eigentlich
bedeutete ihr Anruf genau? Welcher Art war ihr Interesse an
dem Fall? Es konnte sich doch nichts geändert haben. Die
Fakten waren noch immer dieselben. Skip Reardon war noch
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