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Ein Gesicht so schön und kalt

Ein Gesicht so schön und kalt

Titel: Ein Gesicht so schön und kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Traurigkeit in Kerrys
haselnußfarbenen Augen bewußt, der Entschlossenheit, die ihr
voller Mund und das wohlgeformte Kinn vermittelten, und der
Verletzlichkeit, die ihre ganze Haltung verriet. Er hatte das
Bedürfnis, den Arm um sie zu legen, ihr zu sagen, sie solle sich
an ihn lehnen.
Aber er wußte, daß sie das nicht wollte. Kerry McGrath hatte
weder die Erwartung noch den Wunsch, sich an irgendjemanden
anzulehnen. Er versuchte sich erneut wegen der abfälligen
Bemerkung neulich abends zu entschuldigen, mit der er ihr
indirekt Selbstsucht vorgeworfen hatte, und auch wegen Deidre
Reardons Überfall bei ihr im Büro. »Ich war ganz schön dreist«,
sagte er. »Ich weiß, wenn Sie zutiefst davon überzeugt wären,
daß Skip unschuldig ist, dann würden gerade Sie nicht zögern,
ihm zu helfen. Sie sind ein fairer Kämpfer, Ms. McGrath.«
Bin ich das? fragte sich Kerry. Es war nicht der geeignete
Zeitpunkt, um Geoff in das, was sie in der Akte der
Staatsanwaltschaft über Jimmy Weeks herausgefunden hatte,
einzuweihen. Sie würde es ihm schon sagen, zuerst aber wollte
sie sich noch einmal mit Dr. Smith treffen. Er hatte zornig
abgestritten, Suzanne mit dem Skalpell berührt zu haben, aber er
hatte nie behauptet, sie nicht zu jemand anderem geschickt zu
haben. Das hieß, daß er zumindest formal gesehen kein Lügner
war.
Als Geoff wenige Minuten später aufbrach, standen sie noch
kurz in der Eingangshalle. »Ich bin gern mit Ihnen zusammen«,
sagte er zu ihr, »und das hat nichts mit dem Fall Reardon zu tun.
Wie wär’s, wenn wir Samstag abend zusammen essen gehen und
Robin mitnehmen?«
»Das würde ihr Spaß machen.«
    Als Geoff die Tür aufmachte, beugte er sich vor und streifte
Kerrys Wange mit den Lippen. »Ich weiß, es ist unnötig, Sie
dran zu erinnern, daß Sie die Tür gut absperren und die
Alarmanlage anstellen, aber ich möchte doch vorschlagen, daß
Sie sich nicht mehr wegen des Fotos verrückt machen, wenn Sie
schlafen gehen.«
    Als er weg war, ging Kerry nach oben, um nach Robin zu
sehen. Sie arbeitete an ihrem Naturkundeaufsatz und hörte ihre
Mutter nicht ins Zimmer kommen. Vom Türrahmen aus
musterte Kerry ihr Kind. Robin saß mit dem Rücken zu ihr da;
ihre langen braunen Haare fielen ihr über die Schultern, sie
beugte ganz konzentriert den Kopf nach vorn und hatte die
Beine um die Stuhlbeine geschlungen.
    Sie ist das unschuldige Opfer des Kerls, der das Foto geknipst
hat, dachte Kerry. Robin ist wie ich. Eigenständig. Sie kann es
bestimmt nicht ausstehen, zur Schule gebracht und wieder
abgeholt zu werden und nicht mehr alleine zu Cassie
hinüberlaufen zu können.
    Und dann hörte sie plötzlich im Inneren wieder Deidre
Reardons flehentliche Stimme, die sie fragte, wie es ihr wohl
gefallen würde, ihr Kind zehn Jahre lang wegen eines
Verbrechens eingekerkert zu sehen, das es gar nicht begangen
hatte.

Freitag, 3. November

61
    Die Verhandlungen um einen Straferlaß verliefen nicht gut für
Barney Haskeil. Am Freitag suchte er um sieben Uhr früh den
Rechtsanwalt Mark Young in seiner geschmackvollen Kanzlei
in Summit auf, die eine halbe Stunde und eine ganze Welt vom
Justizgebäude im Zentrum von Newark entfernt lag.
    Young, der dem Verteidigungsteam von Barney vorstand, war
etwa genauso alt wie er selbst, nämlich fünfundfünfzig, doch
damit erschöpfte sich schon alle Ähnlichkeit, dachte Barney
mißvergnügt. Young war selbst zu dieser frühen Stunde elegant
anzusehen mit seinem Nadelstreifenanzug, der wie eine zweite
Haut zu sitzen schien. Barney wußte allerdings, daß diese
imposanten Schultern verschwanden, sobald Young das Jackett
ablegte. Kürzlich hatte der Star-Ledger ein Porträt über den
renommierten Anwalt gebracht, inklusive der Tatsache, daß er
Eintausend-Dollar-Anzüge trug.
    Barney kaufte seine Anzüge von der Stange. Jimmy Weeks
hatte ihn nie so gut bezahlt, daß er sich etwas Besseres hätte
leisten können. Jetzt standen ihm Jahre im Gefängnis bevor,
wenn er weiterhin zu Jimmy hielt. Bisher hielten sich die
Männer von der Bundesanwaltschaft noch bedeckt. Sie ließen
sich bestenfalls auf eine Strafminderung ein, wollten ihn aber
nicht straffrei ausgehen lassen, wenn er ihnen Jimmy auslieferte.
Sie vertraten die Ansicht, sie könnten Weeks auch ohne Barney
überführen.
    Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht, dachte Barney. Er ging
davon aus, daß sie bloß blufften. Er hatte miterlebt, wie Jimmys
Anwälte ihn

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