Ein Gesicht so schön und kalt
den Henry Hudson Parkway
entlangfuhr. Ob jemand einen Blick darauf werfen und sich an
ihn, Jason Arnott, erinnert fühlen würde?
Sollte er am besten einen Schlußstrich ziehen und
untertauchen? fragte er sich, als er die George Washington
Bridge überquerte und in den Palisades Parkway einbog.
Niemand wußte etwas von seinem Refugium in den Catskills. Er
besaß es unter einem falschen Namen. Unter weiteren falschen
Namen hatte er reichlich Geld in Form von Wertpapieren, die er
jederzeit verkaufen konnte. Er hatte sogar einen gefälschten Paß.
Vielleicht sollte er unverzüglich das Land verlassen?
Auf der anderen Seite, falls das Foto so schwer zu erkennen
war, wie Judith Shelby es gefunden hatte, ja selbst wenn einige
Leute eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm feststellten, so würden
sie es doch für vollkommen absurd halten, ihn mit einem
Diebstahl in Zusammenhang zu bringen.
Bis Jason schließlich in die Straße nach Alpine hinein abbog,
hatte er seinen Entschluß gefaßt. Mit Ausnahme dieser
Fotografie, da war er sich fast völlig sicher, hatte er keinerlei
Spuren hinterlassen, auch keine Fingerabdrücke. Er war stets
äußerst vorsichtig gewesen, und diese Vorsicht hatte sich
ausgezahlt. Er konnte doch nicht einfach seinen wundervollen
Lebensstil aufgeben, nur wegen irgendetwas, was vielleicht
passieren mochte. Er war noch nie ein furchtsamer Mensch
gewesen. Hätte er je Angst gehabt, dann würde er bestimmt
nicht schon seit so vielen Jahren seine Art von Leben führen.
Nein, Panik war nicht angesagt. Er würde sich einfach nicht
aus der Ruhe bringen lassen. Aber für lange Zeit keine Jobs
mehr, das nahm er sich fest vor. Er brauchte das Geld nicht, und
das hier war eine Warnung.
Um Viertel vor vier kam er zu Hause an und sah die Post
durch. Ein Umschlag fiel ihm auf, und er öffnete ihn gleich mit
dem Brieföffner, zog den Inhalt heraus - ein einzelnes Blatt
Papier -, betrachtete es und brach in Gelächter aus.
Ganz bestimmt würde ihn niemand mit dieser komischen
Gestalt in Verbindung bringen, mit ihrer hochgeschobenen
Strumpfmaske und der grobkörnigen Karikatur von einem
Profil, das buchstäblich nur Zentimeter von der Kopie der
Rodin-Statuette entfernt war.
» Vive le junk«, rief Jason aus. Er machte es sich im Stud io für
ein Schläfchen bequem. Veras unablässiger Redestrom hatte ihn
erschöpft. Als er erwachte, war es gerade an der Zeit für die
Sechs-Uhr-Nachrichten. Er griff nach der Fernbedienung und
schaltete den Apparat an.
Die Hauptnachricht galt dem Gerücht, Jimmy Weeks’
Mitangeklagter Barney Haskell sei dabei, sich mit der
Bundesstaatsanwaltschaft zu arrangieren.
Das ist noch gar nichts im Vergleich mit dem Deal, den ich
herausschlagen könnte, dachte Jason. Es war tröstlich, sich das
vor Augen zu halten. Aber dazu würde es natürlich nie kommen.
58
Robin schaltete gerade die Naturkundesendung ab, als es an
der Haustür klingelte. Sie war hocherfreut, Geoff Dorsos
Stimme in der Diele zu hören, und rannte gleich hinüber, um ihn
zu begrüßen. Sie bemerkte, daß er ebenso wie ihre Mutter ein
ernstes Gesicht machte. Vielleicht haben sie sich gestritten,
dachte sie, und wollen sich jetzt wieder vertragen.
Während des ganzen Essens fiel Robin auf, wie ungewöhnlich
still ihre Mutter war, während Geoff sich von seiner lustigen
Seite zeigte und Geschichten über seine Schwestern erzählte.
Geoff ist so nett, dachte Robin. Er erinnerte sie an Jimmy
Stewart in diesem Film, den sie jedesmal an Weihnachten mit
ihrer Mutter anschaute: Ist das Leben nicht schön? Er hatte
genau so ein scheues, warmes Lächeln und die gleiche zögernde
Stimme, und dann diese Art von Haaren, die immer so aussahen,
als ließen sie sich nicht bändigen.
Aber Robin hatte den Eindruck, daß ihre Mutter Geoffs
Geschichten nur mit halber Aufmerksamkeit folgte. Es war
eindeutig, daß irgend etwas zwischen den beiden los war und sie
miteinander reden mußten - ohne, daß sie im Zimmer war. Also
entschloß sie sich zu dem heroischen Opfer, hinaufzugehen und
an dem Naturkundeprojekt zu arbeiten.
Nachdem sie beim Abräumen geholfen hatte, tat sie ihre
Absichten kund und sah am Blick ihrer Mutter, wie erleichtert
sie war. Sie will also wirklich alleine mit Geoff reden, dachte
Robin glücklich. Vielleicht ist das ja ein gutes Zeichen.
Geoff lauschte am unteren Treppenabsatz. Als er das Klicken
hörte, mit dem Robins Zimmertür geschlossen wurde, ging er
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