Ein glücklicher Tag im Jahr 2381
Lungen gepreßt, so stelle ich mir das immer vor. Entschuldigung, ich glaube, ich übertreibe das alles. Ich meine, ich weiß es einfach nicht.«
»So schlimm ist es nicht«, meint Mamelon. »Es ist natürlich etwas ungewohnt und vielleicht auch unangenehm. Aber es hat auch seine guten Seiten. Der Augenblick der eigentlichen Geburt…«
»Schmerzt es sehr?« fragt Aurea. »Ich nehme das jedenfalls an. Etwas so großes, das aus dem Körper drängt, heraus aus deiner…«
»Ein glücklicher Augenblick. Das ganze Nervensystem erwacht. Ein Baby, das herauskommt, das ist wie ein Mann, der in dich eindringt, nur zwanzigmal erregender. Es ist unmöglich, dieses Gefühl zu beschreiben. Du mußt das wirklich selbst erleben.«
»Ich wünsche, ich könnte das«, sagt Aurea niedergeschlagen. »Gott segne, ich möchte meine Pflicht tun! Die Ärzte sagen, daß uns beiden nichts fehlt. Aber…«
»Du mußt geduldig sein, Liebes.« Mamelon umarmt Aurea flüchtig. »Segne Gott, auch deine Stunde wird kommen.«
Aurea bleibt skeptisch. Seit zwanzig Monaten achtet sie auf ihren flachen Bauch, immer in der Hoffnung, daß er sich zu wölben beginnt. Sie weiß, daß es Glück und Segen bedeutet, Leben zu spenden. Wenn alle so unfruchtbar wären wie sie, wer würde dann die Urbmons füllen? Sie hat eine erschreckende Vision, in der die riesigen Türme fast leer sind, ganze Städte unbewohnt, die Energie fällt aus, Risse in den Wänden, nur ein paar verhutzelte alte Frauen schlurfen durch Hallen und Korridore, die einst mit glücklichen Menschenmassen, mit fröhlichen Kindern gefüllt waren.
Die eine Furcht, von der sie besessen ist, hat sie zur anderen geführt. Sie unterbricht die Unterhaltung der Männer, indem sie sich an Siegmund wendet: »Siegmund, stimmt das eigentlich, daß Urbmon 158 bald zur Besiedlung freigegeben wird?«
»Davon habe ich gehört, ja.«
»Wie wird es dort aussehen?«
»Ganz ähnlich wie 116, nehme ich an. Tausend Etagen, die üblichen Servicefunktionen. Anfangs werden es wohl nur siebzig Familien pro Etage sein, zusammen vielleicht 250.000 Bewohner, aber sie werden nicht lang brauchen, um aufzuholen.«
Aurea preßt die Handflächen zusammen. »Wie viele Leute werden von hier nach 158 geschickt werden, Siegmund?«
»Glaube mir, das weiß ich nicht.«
»Aber es stimmt doch, daß man Leute von hier übersiedeln wird?«
Memnon sagt sanft, aber nachdrücklich: »Aurea, wollen wir nicht über etwas Angenehmeres reden?«
Obwohl ihr Verlangen nach ihm groß ist, wendet sie Memnon in dieser Nacht den Rücken zu, als sie seine Annäherung spürt. Sie liegt lange Zeit wach und horcht auf das heftige Atmen und das glückliche Seufzen der Paare auf den Schlafplattformen in ihrer Nähe, und dann kommt der Schlaf.
Schon am nächsten Morgen erfahren die Bewohner von Urban Monad 116 mehr über das neue Gebäude. Aurea hört es über den TV-Wandschirm im Schlafraum. Aus den Mustern von Licht und Farbe schält sich das Bild eines unfertigen Turms. Baumaschinen gleiten und schweben darüber, deren metallene Werkzeugarme automatisch oder ferngesteuert an der Fertigstellung des Bauwerks arbeiten. Die vertraute Stimme des Bildschirms sagt: »Freunde, hier seht ihr Urbmon 158, ein Monat und elf Tage vor der Fertigstellung. So Gott will, wird es bald die Heimat einer großen Anzahl glücklicher Chipittsianer sein, die die Ehre haben werden, dort den Status der ersten Generation zu erwerben. Von Louisville kommt die Nachricht, daß sich bereits 802 Bewohner unseres Urbmon 116 freiwillig zur Übersiedlung in das neue Gebäude gemeldet haben, sobald…«
Einen Tag später wird ein Interview mit Herrn und Frau Dismas Cullinan aus Boston übertragen, die – mitsamt ihren neun Kleinen – die ersten waren, die Übersiedlung ins neue Gebäude beantragten. Cullinan, ein fleischiger Mann mit rotem Gesicht, ist Spezialist für sanitäre Einrichtungen. Er erklärt: »Ich sehe eine reale Chance für mich, drüben in 158 bis zur Planungsebene aufzusteigen. Ich schätze, ich werde im Handumdrehen um achtzig oder neunzig Etagen an Status gewinnen können.« Frau Cullinan streicht zufrieden über ihren gewölbten Leib. Nummer zehn ist schon auf dem Weg. Sie murmelt etwas über die enormen sozialen Vorteile, die ihre Kinder durch die Umsiedlung gewinnen werden. Ihre Augen glänzen zu hell; ihre Oberlippe ist dicker als die untere, und ihre Nase sticht scharf aus dem Gesicht hervor.
»Sie sieht wie ein Raubvogel aus«, kommentiert jemand
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