Ein glücklicher Tag im Jahr 2381
im Schlafraum. Und jemand anders sagt: »Es geht ihr offenbar ziemlich schlecht hier. Hofft wohl, daß sie drüben schneller vorwärtskommt.« Die Kinder der Cullinans ähneln ihren Eltern, was ihnen nicht gerade gut zu Gesicht steht. Ein Mädchen mit laufender Nase schlägt auf ihren Bruder ein, wie man auf dem Bildschirm sehen kann. »Es ist bestimmt kein Verlust für den Urbmon, wenn sie uns verlassen«, sagt Aurea mit Überzeugung.
Interviews mit anderen Aussiedlern folgen. Am vierten Tag der Kampagne bietet der Wandschirm eine ausführliche Besichtigungstour durch das Innere von 158, wobei vor allem die ultramodernen Einrichtungen des neuen Gebäudes auffällig ins Bild kommen. Die Anzahl der Freiwilligen beträgt jetzt 914.
Vielleicht, wagt Aurea zu hoffen, wird die ganze Aussiedlerquote durch Freiwillige erreicht werden.
»Die Zahl ist falsch«, sagt Memnon. »Siegmund sagt, daß sie bis jetzt nur einundneunzig Freiwillige haben.«
»Aber warum…«
»Um weitere zu ermutigen.«
In der zweiten Woche zeigen die Sendungen über das neue Gebäude an, daß die Anzahl der Freiwilligen bei 1062 angekommen ist und stagniert; und Siegmund gibt privat zu, daß die tatsächliche Zahl etwas, überraschenderweise aber nicht viel geringer ist. Man erwartet nur noch wenige weitere Meldungen. Der Bildschirm erwähnt behutsam die Möglichkeit, daß eine zwangsweise Verpflichtung von Aussiedlern notwendig werden könnte. Aus Louisville wird eine Diskussion zwischen zwei Verwaltungsfachleuten und zwei Genetikern übertragen, in der die Notwendigkeit einer richtigen genetischen Mischung im neuen Gebäude deutlich wird. Ein Ethikingenieur aus Schanghai spricht über das unbedingte Gebot, sich in allen denkbaren Umständen dem Segen Gottes zu fügen. Segen und Glück denen, die dem göttlichen Plan und seinen Vollstreckern auf Erden gehorchen, sagt er. Gott ist dein Freund und meint es gut mit dir. Gott liebt die, die seinen Segen bereitwillig annehmen. Die Lebensqualität in Urbmon 158 würde stark herabgesetzt, wenn die Anzahl der Erstbewohner geringer als geplant wäre. Das wäre ein Verbrechen gegen die, die freiwillig nach 158 gehen. Ein Verbrechen gegen deinen Mitmenschen ist ein Verbrechen gegen Gott, und wer würde ihn verletzen wollen? Daher ist es eines jeden Menschen Pflicht, die Übersiedlung anzunehmen, wenn sie angeboten wird.
Es folgt ein Interview mit Kimon und Freya Kurtz, vierzehn und fünfzehn Jahre alt, aus einem Gemeinschaftsschlafraum in Bombay. Seit kurzem verheiratet. Sie wollen sich nicht freiwillig melden, geben sie zu, aber es würde ihnen nichts ausmachen, wenn sie verpflichtet würden. »Wir sehen das«, erklärt Kimon Kurtz, »als eine große Möglichkeit an. Ich meine, wenn wir einmal Kinder haben, die könnten sofort einen Spitzenstatus erreichen. Es ist eine nagelneue Welt da drüben – dem schnellen Aufstieg sind keine Grenzen gesetzt, niemand ist im Weg. Die Anpassung an eine neue Umgebung ist vielleicht am Anfang nicht so leicht, aber das wird nicht lange dauern. Und schließlich wissen wir, daß unsere Kleinen nicht in einem Schlafraum müssen, wenn sie einmal alt genug sind, um zu heiraten. Sie können gleich in ein eigenes Apartment einziehen, sogar bevor sie Kinder bekommen. Also, wir würden unsere Freunde hier zwar nur ungern verlassen, aber wir werden bereit sein, wenn das Los uns trifft.« Atemlos fügt Freya Kurtz hinzu: »Ja. Das stimmt.«
Die Kampagne wird fortgesetzt mit einem Bericht über das Auswahlverfahren, mit dem die restlichen Übersiedler bestimmt werden sollen: insgesamt 3878, nicht mehr als 200 aus einer Stadt oder dreißig von einem Schlaf räum. In die Auswahl kommen die verheirateten Männer und Frauen im Alter zwischen zwölf und siebzehn, die keine Kinder haben, wobei eine gegenwärtige Schwangerschaft nicht als Kind gerechnet wird. Die Entscheidung erfolgt durch das Los.
Endlich werden die Namen der zur Übersiedlung Verpflichteten bekanntgegeben.
Die freudig erregte Stimme des Bildschirms kündigt an: »Vom Schlafraum in der 735. Etage von Chikago sind die Glücklichen bereits auserwählt worden, und möge Gott ihnen Fruchtbarkeit in ihrem neuen Leben verleihen:
Brock, Aylward und Alison.
Feuermann, Sterling und Natascha.
Holston, Memnon und Aurea…«
Sie wird aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen werden. Aus ihrer Umwelt. Aus dem Muster von Erinnerungen und Bindungen, aus denen ihre Identität besteht. Sie hat Angst davor.
Sie wird dagegen
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