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Ein glücklicher Tag im Jahr 2381

Ein glücklicher Tag im Jahr 2381

Titel: Ein glücklicher Tag im Jahr 2381 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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die Palme zu bringen. Das war häßlich, Micaela.«
    »Und deine Motive? Sex als Mittel zur Rache? Nachtwandeln soll Spannungen vermindern, nicht neue schaffen. Ganz abgesehen davon, zu welcher Tages- oder Nachtzeit es stattfindet. Du willst Mamelon, schön; sie ist ein sehr hübsches Mädchen. Aber du kommst hierher und prahlst damit. Als ob es mich einen Deut interessieren würde, in wessen Schlitz du deinen…«
    »Keine schmutzige Wäsche, Micaela…«
    »Hört ihm zu! Hört ihm nur zu! Puritaner, Moralist!«
    Die Kleinen beginnen verängstigt zu weinen. Sie haben noch nie gehört, wie Erwachsene sich anschreien. Micaela versucht, sie mit einer Geste hinter ihrem Rücken zu beruhigen.
    »Ich habe zumindest Moral«, sagt er. »Aber wie ist das mit dir und deinem Bruder Michael?«
    »Und wie ist das mit uns?«
    »Du bestreitest also gar nicht, daß ihr etwas miteinander habt?«
    »Als wir noch Kinder waren, ja, da haben wir ein paar Mal miteinander…«, sagt sie und errötet dabei. »Na und? Du hast es wohl nie mit deinen Schwestern getrieben?«
    »Nicht nur als ihr Kinder wart. Du schläfst noch immer mit ihm.«
    »Ich glaube, du bist verrückt, Jason.«
    »Du willst es tatsächlich bestreiten?«
    »Michael hat mich seit zehn Jahren nicht angerührt. Nicht daß ich darin überhaupt etwas Falsches sehen würde, aber es ist einfach gar nicht geschehen. Oh, Jason, Jason, Jason! Ich glaube, du hockst schon so lange in deinen Archiven herum, daß du dich schon in einen Menschen des 20. Jahrhunderts verwandelt hast. Du bist eifersüchtig, Jason. Du bist aufgebracht wegen eines vermeintlichen Inzests. Und regst dich darüber auf, ob ich die Regeln der weiblichen Initiative einhalte. Was ist mit dir und deinem Nachtwandeln in Warschau? Ist es nicht allgemeiner Brauch, sich beim Nachtwandeln auf die nähere Umgebung zu beschränken? Willst du mir eine doppelte Moral aufzwingen, Jason? Du tust, was du willst, aber ich soll mich an die Regeln halten. Und du regst dich wegen Siegmund auf. Wegen Michael. Du bist eifersüchtig, Jason! Eifersüchtig! Dabei haben wir Gefühle wie die Eifersucht schon vor über hundertfünfzig Jahren aufgegeben!«
    »Und du willst ein sozialer Aufsteiger sein. Du möchtest nach oben kommen. Du bist nicht mit Schanghai zufrieden, du willst Louisville. Aber Ehrgeiz ist auch so eine veraltete, überflüssige Eigenschaft. Und außerdem hast du damit angefangen, Sex als ein Mittel einzusetzen, um Punkte in unserer Auseinandersetzung zu sammeln. Du bist zu Siegmund gegangen und hast es mich wissen lassen. Du behauptest, ich sei ein Puritaner? Du bist ein Rückfall in die alte Zeit, Micaela. Du steckst voll von diesen mittelalterlichen Moralvorstellungen, die in der Zeit vor den Urbmons schon kaum noch Geltung hatten.«
    »Wenn ich so bin, dann hast du mich dazu gemacht«, schreit sie.
    »Nein! Du hast das aus mir gemacht! Du trägst das Gift in dir herum! Wenn du…«
    Die Tür geht auf. Ein Mann sieht herein. Charles Mattern, von der 799. Etage. Jason kennt den Soziocomputator, weil er bei verschiedenen Forschungsprojekten mit ihm zusammengearbeitet hat. Er hat offenbar einiges von ihrer unglücklichen Auseinandersetzung mitbekommen; er hat besorgt die Stirn gerunzelt und sieht höchst überrascht drein. »Gott segne«, sagt er leise. »Ich bin gerade beim Nachtwandeln und dachte, daß ich…«
    »Nein!« schreit Micaela zornig. »Nicht jetzt! Hinaus!«
    Mattern ist sichtlich schockiert. Er will etwas sagen, schüttelt dann nur den Kopf und zieht sich aus dem Raum zurück, während er eine unverständliche Entschuldigung murmelt.
    Jason ist entsetzt. Einen Nachtwandler abweisen? Ihn geradezu hinauswerfen!
    »Bist du wahnsinnig?« schreit er und schlägt ihr ins Gesicht. »Wie konntest du das tun?«
    Sie prallt entsetzt zurück, streicht sich über die Wange. »Wahnsinnig? Ich? Und du schlägst mich? Ich könnte dich den Schacht hinabwerfen lassen, weil…«
    »Ich könnte dich den Schacht hinabwerfen lassen…«
    Er bricht ab.
    Beide schweigen, erschrocken über sich selbst.
    »Du hättest Mattern nicht wegschicken sollen«, sagt er ein wenig später leise.
    »Du hättest mich nicht schlagen sollen.«
    »Ich war einfach fertig. Aber es gibt Regeln, die dürfen wir nicht verletzen. Wenn er dich meldet…«
    »Das wird er nicht tun. Er hat doch sehen können, daß wir Streit hatten. Daß ich unter diesen Umständen für ihn nicht gerade verfügbar war.«
    »Es reicht schon, sich zu streiten«, sagt er.

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