Ein glücklicher Tag im Jahr 2381
natürlich nicht das erste Mal bei ihm, aber so schön wie heute war es noch nie.«
Sie tritt aus dem Reiniger, nimmt zwei ihrer Kleinen, entkleidet sie und legt sie für ihr abendliches Bad unter den Reiniger. Sie schenkt dabei Jason fast keine Beachtung. Eine Vorlesung über Sexualität und Moral in den Urbmons liegt ihm auf der Zunge, aber er kaut nur auf seinen Lippen herum, bringt kein Wort heraus. Jetzt, da er sich mühevoll mit ihrer vermeintlichen inzestösen Liebe abgefunden hat, kann er sich nicht so plötzlich auf diese Geschichte mit Siegmund einstellen. Sie ist hinter ihm her? Tagwandeln. Tagwandeln! Kennt sie denn keine Scham? Warum hat sie das getan? Bestimmt nur aus Trotz, sagt er sich. Um sich über mich lustig zu machen. Mich zu ärgern. Mir zu zeigen, wie wenig ich ihr bedeute. Sie benützt Sex als eine Waffe gegen mich. Dabei sollte Siegmund eigentlich vernünftig genug sein, dieses Spiel nicht mitzumachen. Daß ein Mann mit seinen Ambitionen gegen die Urbmon-Gebräuche verstößt! Vielleicht hat Micaela ihn einfach überfahren. So etwas kann sie, selbst mit Siegmund. Die Hexe! Sie ist eine Hexe! Er sieht, wie sie ihn jetzt mit funkelnden Augen anstarrt, den Mund verzerrt zu einem feindseligen Lächeln. Herausfordernd, als wolle sie mit ihm kämpfen. Sie will erreichen, daß er jetzt durchdreht und ihr eine Szene macht. Nein, Micaela, den Gefallen werde ich dir nicht tun! Während sie die Kleinen badet, fragt er sie ganz ruhig: »Was wirst du heute zum Abendessen programmieren?«
Am nächsten Tag läßt er sich in seinem Büro durch einen der Würfel einen Kinofilm aus dem Jahr 1969 vorspielen – es dürfte eine Komödie sein, nimmt er an, die sich um zwei Paare aus Kalifornien dreht, die für eine Nacht ihre Partner tauschen wollen, dann aber doch nicht den Mut dazu finden. Jason geht ganz in dem Film auf, wobei ihn nicht nur die Szenen in privaten Häusern und in der freien Landschaft faszinieren, sondern auch die Fremdheit der Psychologie, nach der die Charaktere handeln. Ihr durchschaubares Sichaufspielen, die vehemente Furcht gegenüber einer so banalen Entscheidung wie der, wer welchen Körperteil wo und wann in wen hineinstecken darf – das erscheint ihm als die höchste Form von Feigheit. Es fällt ihm sogar noch leichter, die nervöse Ausgelassenheit zu verstehen, die sie bei ihren Versuchen mit einer Droge namens Cannabis an den Tag legen, da der Film schließlich aus den Anfangsjahren des psychedelischen Zeitalters datiert. Aber ihre sexuellen Einstellungen sind verwunderlich grotesk. Er sieht sich den Film zweimal an und notiert sich dabei alle wichtigen Einzelheiten.
Gegen Mittag verläßt er seinen Raum, nachdem er nur weniger als fünf Stunden gearbeitet hat. Der Lift trägt ihn zur 787. Etage hinauf. Seine Gedanken kreisen noch immer um Micaela. Ich werde es ihr noch zeigen. Sie hat dieses dumme, sadistische Spiel angefangen – und ich werde es auch zu spielen wissen!
Als er vor dem Apartment von Siegmund und Mamelon Klüver ankommt, verspürt er ein leichtes Schwindelgefühl, fast knicken ihm die Knie ein. Er fängt sich wieder; aber seine Furcht ist noch immer groß, und er ist versucht, wieder umzukehren. Er denkt an die Leute in dem alten Film. Warum habe ich nur solche Angst? Mamelon ist doch auch nur eine Frau wie andere. Er hat hundert Mädchen gehabt, die so attraktiv waren wie sie. Aber ich will Mamelon. Ich habe mir sie all die Jahre selbst verweigert. Während Micaela am hellichten Tag zu Siegmund geht. Diese Hexe. Diese Hexe! Warum soll ich darunter leiden? Wir sollen doch in der Urbmon-Umwelt keinerlei Frustrationen hinnehmen müssen. Deshalb will ich Mamelon. Er stößt die Tür auf.
Das Apartment der Klüvers ist leer. Nur ein Baby in der Versorgungskrippe, sonst kein Lebenszeichen.
»Mamelon?« fragt er. Seine Stimme überschlägt sich fast.
Der Bildschirm erhellt sich, und Mamelons einprogrammiertes Bild erscheint. Wie schön sie ist, denkt er. Dieses strahlende Lächeln. »Hallo«, sagt sie. »Ich bin zu meinem nachmittäglichen Polyrhythmus-Unterricht gegangen und werde um 1500 Uhr zurück sein. Dringende Botschaften können mich im Somatischen Erfüllungzentrum in Schanghai erreichen. Danke.« Das Bild verblaßt.
1500 Uhr. Fast zwei Stunden warten. Soll er wieder gehen?
Er will ihre Schönheit noch einmal bewundern. »Mamelon?« sagt er.
Sie erscheint erneut auf dem Bildschirm. Er betrachtet sie genau. Ihre aristokratischen Züge, die
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