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Ein glücklicher Tag im Jahr 2381

Ein glücklicher Tag im Jahr 2381

Titel: Ein glücklicher Tag im Jahr 2381 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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seiner Seele erweckt. Und wenn Shawke recht hat? Wenn ich in fünfzehn Jahren an seine Stelle trete und entdecke, daß das alles gar keinen Sinn hat? Aber nein. Shawke ist krank, das ist alles. Seine Seele ist leer. Das Leben hat einen Zweck, und der Dienst an der Gemeinschaft erfüllt diesen Zweck. Ich bin bestens befähigt, meine Mitbürger zu regieren; deshalb würde ich die Menschheit und mich selbst verraten, wenn ich mich weigerte, meine Pflicht zu tun. Nissim Shawke ist im Unrecht. Ich bemitleide ihn.
    Aber warum zucke ich innerlich zusammen, wenn ich ihm in die Augen sehe?
    Und dann ist da noch Rhea, Shawkes Tochter. Sie lebt in der 900. Ebene in Toledo und ist mit Paolo verheiratet, dem Sohn von Kipling Freehouse. Die Familien von Louisville heiraten sehr viel unter sich. Die Kinder der Administratoren leben im allgemeinen nicht in Louisville, das für diejenigen reserviert bleibt, die tatsächlich regieren. Ihre Kinder leben vielmehr, sofern sie nicht selbst den Rang eines Administrators einnehmen können, zumeist in Paris und Toledo, den Städten unmittelbar unter Louisville. Sie bilden dort eine privilegierte Enklave, die Abkömmlinge der Großen. Siegmund nachtwandelt oft in Paris und Toledo. Und Rhea Shawke Freehouse ist eine seiner Favoritinnen.
    Sie ist zehn Jahre älter als Siegmund, und sie hat nur drei Kleine. Er weiß nicht, warum ihre Familie so klein ist. Sie ist sehr schlagfertig und ist immer bestens informiert. Sie ist stärker bisexuell als jeder andere, den Siegmund kennt; er findet sie leidenschaftlich wie eine Tigerin, aber sie hat ihm auch von dem Vergnügen erzählt, das sie aus der Liebe mit anderen Frauen bezieht. Unter ihren Eroberungen ist auch Siegmunds Frau Mamelon, die ihm in vieler Hinsicht als eine jüngere Version von Rhea erscheint. Vielleicht ist Rhea für ihn deshalb so anziehend: sie vereinigt in sich all das, was ihn an Mamelon und an Nissim Shawke am meisten interessiert.
    In Nissim Shawkes verschwenderisch möbliertem Büro. In Louisville kann man es sich leisten, Platz zu verschwenden. Shawke hat keinen Schreibtisch; er führt seine Geschäfte, soweit man das so nennen kann, von einem Schwerkraftnetz aus, das nach Art einer Hängematte nahe dem großen Fenster geschlungen ist. Es ist Vormittag, die Sonne steht schon hoch. Von hier aus hat man eine atemberaubende Aussicht auf die benachbarten Urbmons. Siegmund tritt ein, nachdem ihn Shawke hat rufen lassen. Unsicher begegnet er Shawkes kühlem Blick. »Näher«, befiehlt Shawke. Das ist sein übliches Spiel. Siegmund durchquert den riesigen Raum. Er muß sich so dicht vor Shawke stellen, daß er fast dessen Gesicht berührt. Eine Verhöhnung nicht vorhandener Vertraulichkeit; statt Siegmund eine gewisse Entfernung wahren zu lassen, wie man es üblicherweise von seinen Untergebenen verlangt, läßt er ihn so nahe herankommen, daß Siegmund nicht mehr in Shawkes Augen blicken kann. Er muß sich so dicht an Shawkes Gesicht befinden, daß er dessen Gesichtszüge nur noch verzerrt wahrnimmt. In einem beiläufigen und kaum hörbaren Ton sagt Shawke: »Willst du dich um diese Sache hier kümmern?« Er reicht ihm dabei einen der kleinen Würfel, wie sie für den Austausch von Mitteilungen verwendet werden. Shawke erklärt, daß es sich um eine Petition der Bürgerversammlung von Chikago handelt, in der mehr Liberalisierung in der Geschlechterwahl verlangt wird. »Sie wollen mehr Freiheit haben, um das Geschlecht ihrer Kinder selbst zu bestimmen. Sie behaupten, daß die gegenwärtige Regelung die individuelle Freiheit in unnötiger Weise einengt und außerdem den Segen Gottes entbehrt. Du kannst es später der Einzelheiten wegen abspielen. Was meinst du dazu, Siegmund?«
    Siegmund durchsucht sein Gedächtnis nach irgendwelchen theoretischen Informationen zum Thema Geschlechterwahl. Da ist nicht viel da. Er muß intuitiv vorgehen. Welche Art von Rat will Shawke hören? Üblicherweise will er die Dinge so belassen, wie sie sind. Also. Wie läßt sich die bestehende Regelung rechtfertigen, ohne sich eine Blöße zu geben oder gar intellektuell träge zu erscheinen? Siegmund improvisiert schnell. Seine wichtigste Begabung ist sein müheloses Einfühlungsvermögen in die Logik der Verwaltung.
    »Ich glaube, daß man das Verlangen ablehnen sollte«, sagt er.
    »Gut. Und warum?«
    »Die grundlegende dynamische Ausrichtung eines Urban Monad muß in Richtung Stabilität und Vorhersagbarkeit gehen und weg von der Zufälligkeit. Der Urbmon

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