Ein glücklicher Tag im Jahr 2381
Fremden, der von den oberen Etagen kommt. Oder sie ist nicht an ein Vorspiel gewöhnt. Ein anderes Milieu. Er würde vorher lieber noch ein bißchen mit ihr reden. Sieh dir an, wie einfachere Leute leben. Er ist nicht nur des Vergnügens wegen hier, sondern um zu lernen. Er sieht sich im Raum um: eintönige und grobschlächtige Möbel, ohne Eleganz und Stil. Und dennoch von denselben Handwerkern entworfen, die auch Louisville und Toledo möblieren. Warum? Offensichtlich auf einen niedrigeren Geschmack gezielt. Ein grauer Film liegt über allem. Sogar über dem Mädchen. Ich könnte jetzt mit Micaela Quevedo zusammen sein. Mit Principessa. Oder mit… Oder vielleicht mit… Aber ich bin hier. Er sucht nach Fragen, die er stellen könnte. Um das wesentlich Menschliche dieser merkwürdigen Person in Erfahrung zu bringen, über die er eines Tages mit zu regieren haben wird. Liest du viel? Was sind deine liebsten Bildschirm-Sendungen? Was für Nahrungsmittel magst du? Versuchst du deinen Kleinen zu helfen, um im Gebäude weiter nach oben zu kommen? Was hältst du von den Leuten unten in Reykjavik? Und von denen in Prag? Aber er sagt nichts. Was würde es schon nützen? Was könnte er davon lernen? Unüberwindbare Barrieren zwischen Mensch und Mensch. Er berührt sie hier und hier und hier. Ihre Finger auf seinem Glied; es ist noch immer weich.
»Du magst mich nicht«, sagt sie traurig.
Er fragt sich, wie oft sie den Reiniger benützt. »Vielleicht bin ich ein wenig müde«, sagt er. »Viel zu tun in den letzten Tagen.« Er preßt seinen Körper gegen den ihren. Ihre Wärme wird ihn vielleicht anheizen. Ihre Augen starren in die seinen. Blaue Linsen vor innerer Leere. Er küßt ihre Halsbeuge. »He, das kitzelt«, sagt sie und windet sich hin und her. Er fährt mit seinem Finger ihren Leib hinunter, dringt in ihr Innerstes. Heiß und feucht und bereit. Aber er nicht. Er kann nicht. »Brauchst du etwas Besonderes?« fragt sie. »Wenn es nicht zu kompliziert ist, könnte ich vielleicht…« Er schüttelt den Kopf. Er ist nicht an Peitschen und Ketten und Fesseln interessiert. Nur das übliche. Aber er kann nicht. Seine Erschöpfung ist nur eine Ausrede; was ihn bedrückt, ist das Gefühl des Isoliertseins. Allein unter 885.000 Leuten. Und ich kann sie nicht erreichen. Nicht einmal körperlich. Sein schlaffes Glied berührt ihren Eingang. Dieser Angeber aus Schanghai, unfähig, impotent. Jetzt fürchtet sie ihn nicht mehr, und sie spürt auch keine Sympathie. Sie nimmt sein Versagen als ein Zeichen dafür, daß er sie verachtet. Er will ihr sagen, wie viele hundert Frauen in Schanghai und Chikago und sogar in Toledo er gehabt hat. Wo er als unwahrscheinlich fruchtbar geachtet wird. Verzweifelt dreht er sie um. Sein verschwitzter Bauch gegen die kühlen festen Backen ihres Hintern. »Hör zu, ich weiß nicht, was du dir dabei vorstellst, aber…« Nicht einmal das hilft. Sie windet sich unwillig. Er läßt sie frei. Er erhebt sich und legt seine Kleider an. Sein Gesicht ist flammend rot. Während er zur Tür geht, blickt er noch einmal zurück. Sie sitzt verlangend da, sieht ihn verachtungsvoll und spöttisch an. Sie macht eine Geste mit drei Fingern, was hier zweifellos eine Obszönität bedeuten muß. »Ich will nur, daß du eins weißt«, sagt er. »Der Name, den ich dir vorher genannt habe – das ist nicht meiner. Das bin ich nicht.« Und geht hastig nach draußen. Soweit das Bemühen, menschlicher zu werden. Soweit Warschau.
Er läßt sich durch den Liftschacht mehr zufällig zur 118. Ebene tragen, nach Prag, verläßt ihn und geht halb um das Gebäude herum, ohne ein Apartment zu betreten oder mit irgend jemand zu reden; er betritt einen anderen Liftschacht; bewegt sich zur 171. in Pittsburgh hoch; bleibt eine Zeitlang stehen, horcht auf das Pochen seiner Schläfen. Dann begibt er sich in das Somatische Erfüllungszentrum. Sogar um diese späte Stunde nehmen noch einige Leute diese Einrichtungen in Anspruch: ein Dutzend oder so im Gegenstrombecken, fünf oder sechs balancieren auf der Tretmühle, einige Paare im Kopulatorium. Seine Schanghai-Kleidung bringt ihm ein paar neugierige Blicke ein, aber niemand nähert sich ihm. Siegmund spürt, wie sein Verlangen zurückkehrt, und bewegt sich auf das Kopulatorium zu, aber an dessen Eingang verliert er den Mut und geht weiter. Mit hängenden Schultern verläßt er das Somatische Erfüllungszentrum wieder. Jetzt wendet er sich der Treppe zu, schleppt sich die große Spirale
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