Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
Vom Netzwerk:
– So wurden die Berichte, die ich Paula diktierte, eine Zeitlang viel lebhafter; sie waren voll von diplomatischem Klatsch, Gerüchten über die Wiederaufrüstung und über die in diesem Abschiedsjahr der Weimarer Republik zwischen den einzelnen Parteien gesponnenen komplizierten und selbstmörderischen Intrigen. Ein kleiner Vorgang ist mir besonders deutlich in Erinnerung geblieben. Wochenlang hatte die kommunistische Parteipresse höhnisch davon gesprochen, daß die „sozialfaschistische« preußische Regierung nicht die geringste Absicht habe, irgend etwas gegen die Braunhemden zu unternehmen, obwohl diese mehr oder minder offen einen Putsch vorbereiteten. Eines Tages teilte Reiner, der diplomatische Korrespondent der Vossischen Zeitung , im Laufe einer vertraulichen Redaktionskonferenz mit, daß die preußische Polizei am nächsten Morgen um sechs Uhr eine überraschende Razzia auf das Hauptquartier der SA vornehmen, ihre Waffen und Archive beschlagnahmen und das Tragen der braunen Uniformen verbieten werde. Ich leitete diese Nachricht in aller Eile an Paula und Edgar weiter. Die Aktion wurde planmäßig ausgeführt; aber während ganz Berlin fiebernd die Möglichkeit eines Bürgerkrieges zwischen den Nationalsozialisten und Sozialdemokraten erörterte, prangte auf unserer Roten Fahne die gewohnte hämische Überschrift, die sozialdemokratische Regierung toleriere den Nationalsozialismus. Wieder einmal hatten wir uns vor aller Welt lächerlich gemacht. Als ich mich bei Edgar erkundigte, warum man meine Warnung nicht beachtet habe, erklärte mir dieser, die Haltung der Partei gegenüber den Sozialdemokraten beruhe auf einer fest umrissenen, auf lange Sicht berechneten Politik, die durch einen kleinen Zwischenfall wie diesen nicht unigestürzt werden könne. „Aber jedes Wort auf der Titelseite wird von den Tatsachen widerlegt", wandte ich ein. Edgar setzte ein nachsichtiges Lächeln auf. „Du siehst die Dinge immer noch vom mechanistischen Gesichtspunkt", sagte er und gab mir dann eine dialektische Interpretation der Tatsachen. Die Aktion der Polizei stelle lediglich ein heudderisches Manöver dar, mit dem die Sozialdemokraten ihr Einvernehmen mit den Nazis verbergen wollten; selbst wenn einige sozialdemokratische Führer „subjektiv" antifaschistisch denken sollten, so sei doch die Sozialdemokratische Partei „objektiv" ein Werkzeug des Nationalsozialismus und der Hauptfeind der Arbeiterklasse, die sie gespalten habe. Nur um mein Gesicht zu wahren, warf ich schon vollkommen überzeugt, noch ein, daß es doch eigentlich die KPD gewesen wäre, die sich im Jahre 1919 von den Sozialdemokraten abgespalten habe. „Das ist wieder der mechanistische Gesichtspunkt", erwiderte Edgar. „Rein formal waren wir in der Minderheit, aber wir verkörperten die revolutionäre Mission des Proletariats; indem sie sich weigerten, uns zu folgen, haben die sozialdemokratischen Führer die Arbeiterklasse gespalten und sich zu Lakaien der Reaktion gemacht."
     
     
    Geistige Assimilation
     
    Allmählich lernte ich, meiner mechanistischen Voreingenommenheit für Tatsachen zu mißtrauen und die Welt um mich herum im Licht der dialektischen Interpretation zu sehen. Es war ein höchst befriedigender Zustand der Gnade; denn hatte man sich einmal die richtige Technik angeeignet, so gab es keine störrischen Tatsachen mehr; sie nahmen automatisch die gewünschte Farbe und Gestalt an und fügten sich willig in den vorbestimmten Rahmen. Die Partei war sowohl moralisch als auch logisch unfehlbar; moralisch, weil ihre Ziele richtig waren, d. h. der Dialektik der Geschichte entsprachen, und diese Ziele rechtfertigten alle Mittel; logisch andererseits, weil die Partei die Vorhut des Proletariats war und das Proletariat die Verkörperung des aktiven Prinzips in der Geschichte darstellte. Die Gegner der Partei, von den offenen Reaktionären bis zu den Sozialfaschisten, waren Produkte ihres sozialen Milieus, ihre Ideen spiegelten die Verzerrungen der bürgerlichen Gesellschaft wider. Abtrünnige von der Partei waren verlorene Seelen, die sich der Gnade begeben hatten; mit ihnen zu diskutieren oder auch nur ihnen zuzuhören, hieß mit dem Teufel paktieren.
    Die Tage der Weimarer Republik waren gezählt; ein jedes Mitglied der deutschen KP war bereits für Dachau, Oranienburg oder ein ähnliches Schicksal vorgemerkt. Aber wir lebten in einem Nebel dialektischer Trugbilder, die uns die Welt der Wirklichkeit verbargen. Die Faschisten waren

Weitere Kostenlose Bücher