Ein Gott der keiner war (German Edition)
nennen, von denen sie geschickt worden sei. „Ach, Georg natürlich", sagte sie zögernd, wobei sie mein Büro musterte, als suche sie nach verborgenen Mikrophonen. Nun waren damals Ernst, Edgar und Paula meine einzigen Parteiverbindungen; ich kannte keinen Georg und sagte ihr das, worauf Fräulein Meyer wild wurde. „Ich habe keine Lust, mit Ihnen meine Zeit zu verschwenden!" zischte sie und rauschte aus dem Zimmer
Bei meiner nächsten Begegnung mit Paula erwähnte ich den Zwischenfall. Sie schien leicht erstaunt und versprach, die Sache aufzuklären. Als wir uns dann wieder trafen, behauptete sie jedoch, noch keine Zeit für eine Rückfrage gehabt zu haben, und bei der übernächsten Verabredung beantwortete sie meine Frage mit einem mißmutigen Achselzucken und der Bemerkung, es müsse sich um eine Verwechslung handeln, und ich solle die Angelegenheit lieber vergessen. Ich erlebte noch mehrere solcher Zwischenfälle, die alle merkwürdig sinnlos erschienen. Vielleicht sollte mich Edgars Japan-Vorschlag nur auf eine psychologische Probe stellen; vielleicht wollte er persönlich mich auch wirklich nach Tokio schicken, während seine Vorgesetzten mir nicht getraut hatten. Möglicherweise kam Fräulein Meyer wirklich von Edgar, der ihr vielleicht als Georg bekannt war (derartige hyperkonspiratorische Pannen kamen oft vor); möglicherweise gehörte sie auch zu einem anderen Parteiapparat, der mit Edgars Apparat rivalisierte und in seinen Kompetenzbereich einzudringen versuchte. Bei dieser und bei anderen Gelegenheiten merkte ich wiederholt, daß der kommunistische Apparat lange nicht so tüchtig ist und mit viel beschränkteren Mitteln arbeitet, als seine verängstigten Gegner befürchten. Auf der anderen Seite kommen ihm drei psychologische Faktoren zugute, deren Bedeutung gewöhnlich unterschätzt wird: der Idealismus, die Naivität und die Skrupellosigkeit seiner freiwilligen Helfer.
Meine Verbindung mit Ernst Schnellers Apparat dauerte im ganzen zwei oder drei Monate. Sie war nur ein peripherer Kontakt; aber die Tatsache, daß diese Verbindung so bald abbrach, daß ich nicht mit in den Strudel gezogen wurde und als richtiger „Apparatschik" endete (der in Parteikreisen gebrauchte anheimelnde Euphemismus für Agenten und Spione), war nicht mein eigenes Verdienst. Was mich persönlich anging, so war ich nur allzu bereit, mich mit Haut und Haar vom Apparat verschlingen zu lassen. Ich erwähne dies nicht aus irgendeinem Bekenntnisdrang heraus, sondern weil mein Fall – der eines damals jungen Menschen von durchschnittlicher mitteleuropäischer Herkunft, durchschnittlichem Idealismus und überdurchschnittlicher Erfahrung – typisch für unsere Zeit war. Wir linken Intellektuellen von damals stellten eine Art von Halbjungfrauen der Revolution dar – wir flirteten so lange mit der Idee der Gewalt, bis einer nach dem andern im ideologischen und moralischen Sumpf der Partei unterging.
Mein Bruch mit Ullstein
Was mich aus den Klauen des Apparats rettete, war, wie gesagt, nicht meine bessere Einsicht, sondern die naive Unschuld des jungen v. E. Ich habe bereits erwähnt, daß dieser einundzwanzigjährige Junge eine freundschaftliche Zuneigung für mich hegte, aus der ich für die Partei Kapital schlug. Einige Wochen hindurch ging alles gut; dann merkte ich an dem Verhalten v. E.s mir gegenüber eine gewisse Abkühlung, machte mir darüber aber keine besonderen Gedanken. Ein- oder zweimal äußerte er schüchtern, daß er sich gern einmal „lange und gründlich" mit mir aussprechen würde, aber ich war damals überarbeitet und unglücklich verliebt; außerdem wurde mir die Rolle des marxistischen Guru allmählich langweilig. So schob ich die „lange gründliche Aussprache" immer wieder auf. Diese Fahrlässigkeit wurde meine Rettung – wie im Falle des Passagiers, der das zum Absturz bestimmte Flugzeug verpaßt hat.
Eines Tages, als ich gerade einer Sekretärin Briefe diktierte, platzte v. E. ins Zimmer und bat mich um ein sofortiges Gespräch unter vier Augen. Er war unrasiert, hatte rote, verquollene Augen und sah so melodramatisch aus, daß die Sekretärin in gelinder Panik die Flucht ergriff. „Was ist denn los?" fragte ich mit einer unangenehmen Vorahnung. „Ich bin zu der Schlußfolgerung gekommen", sagte v. E., „daß ich mich entweder erschießen oder von unserer Tätigkeit Anzeige machen muß. Die Entscheidung liegt bei Ihnen." – „Von welcher Tätigkeit sprechen Sie überhaupt?" fragte
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