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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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Untergrundbewegung organisatorisch leitete. Wir trafen uns in Berlin und fuhren gemeinsam nach Moskau. Auf dem Kongreß sollte angeblich über Direktiven für den Kampf der kommunistischen Parteien gegen den drohenden imperialistischen Krieg beraten werden, in Wirklichkeit aber sollte mit diesem Kongreß die „Liquidierung" von Trotzki und Sinowjew eingeleitet werden, die damals noch Mitglieder der internationalen Exekutive waren. Um Überraschungen zu vermeiden, war den Plenarsitzungen wie gewöhnlich der aus den Leitern der wichtigsten Delegationen sich zusammensetzende „Senioren-Konvent" vorausgegangen, der jede Einzelheit des Kongresses vorbereitete. Togliatti bestand diesmal darauf, daß ich ihn zu diesen Sitzungen des Konvents begleitete, zu denen eigentlich nur er selbst als Leiter der italienischen Delegation Zutritt hatte. In weiser Voraussicht der zu erwartenden Komplikationen hielt er es jedoch für besser, den Vertreter der Untergrundorganisation hinzuzuziehen. Bei der ersten Sitzung, an der wir teilnahmen, hatte ich den Eindruck, zu spät gekommen zu sein. Sie fand in einem kleinen Büro der Komintern statt und wurde von dem Deutschen Thälmann geleitet. Er begann sofort damit, einen Resolutionsentwurf gegen Trotzki vorzulesen, der in der Plenarsitzung eingebracht werden sollte und in heftigsten Ausdrücken ein Schreiben verurteilte, das Trotzki an das Politbüro der Kommunistischen Partei Rußlands gerichtet hatte. Die russische Delegation war in dieser Sitzung des Senioren-Konvents besonders glänzend durch Stalin, Rykow, Bucharin und Manuilski vertreten. Am Schluß seiner Lesung fragte uns Thälmann, ob wir mit dem Resolutionsentwurf einverstanden seien. Der Finne Kuusinen fand ihn nicht heftig genug. „Man müßte offen sagen", schlug er vor, „daß Trotzkis Schreiben an das Politbüro der Kommunistischen Partei Rußlands einen ausgesprochen konterrevolutionären Charakter zeigt und deutlich beweist, daß sein Verfasser nichts mehr mit der Arbeiterklasse gemein hat." Als niemand weiter ums Wort bat, begann ich mich nach einer kurzen Rücksprache mit Togliatti bei den Anwesenden für meine Verspätung zu entschuldigen, die mir die Möglichkeit genommen habe, das zu verurteilende Dokument einzusehen. „Wenn ich ganz ehrlich sein soll", erklärte Thälmann daraufhin treuherzig, „wir kennen das Dokument selber nicht." Ich glaubte nicht recht verstanden zu haben und wiederholte meinen Einwand noch einmal mit anderen Worten: „Es mag durchaus zutreffen", sagte ich, „daß der fragliche Brief zu verurteilen ist; doch kann ich ihn nicht verurteilen – soviel dürfte klar sein —, ehe ich ihn gelesen habe." – „Wir haben", wiederholte Thälmann, „das Dokument ebenfalls nicht gelesen, die Mehrzahl der hier anwesenden Delegierten hat es nicht gelesen, mit Ausnahme der russischen." Thälmann sprach deutsch, und seine Worte wurden für Stalin ins Russische und für zwei oder drei von uns ins Französische übersetzt. Die Antwort klang so unglaubwürdig, daß ich schließlich mit dem Übersetzer zu streiten anfing. „Es ist unmöglich", erklärte ich ihm, „daß Thälmann das gesagt hat. Ich bitte, mir Wort für Wort seine Antwort zu wiederholen." In diesem Augenblick griff Stalin ein. Er stand auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes und schien als einziger der Anwesenden ruhig und heiter zu sein. „Das Politbüro der Partei", sagte Stalin, „hält es für unangebracht, das Dokument Trotzki zu übersetzen und an die Delegierten der Internationalen Exekutive zu verteilen, weil es verschiedene Anspielungen auf die Politik des sowjetischen Staates enthält." (Das geheimnisvolle Dokument wurde von Trotzki später unter dem Titel „Probleme der chinesischen Revolution" als Broschüre im Ausland veröffentlicht. Wie jeder Leser selbst nachprüfen kann, ist darin nichts über die Politik des sowjetischen Staates, wohl aber ein scharfer Angriff auf die China-Politik Stalins und der Komintern enthalten. Am 5. April 1927 nämlich hatte Stalin in einer Rede vor dem Moskauer Sowjet eine Lobeshymne auf Tschiang Kaischek gesungen und sein persönliches Vertrauen in die Kuomintang betont, während kaum eine Woche später die berühmte antikommunistische Kehrtwendung des nationalchinesischen Führers und seiner Partei erfolgt war: die Kommunisten wurden über Nacht aus der Kuomintang ausgeschlossen, Zehntausende von Arbeitern wurden in Schanghai und einige Wochen später in Wuhan hingeschlachtet. Es ist

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