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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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Resolutionsentwurf?" Ich besprach mich mit Togliatti und erklärte dann: „Ehe wir den Resolutionsentwurf prüfen, müßten wir das Dokument, um das es sich handelt, kennenlernen." Der Franzose Albert Treint und der Schweizer Jules Humbert-Droz erklärten dasselbe. (Sie traten ebenfalls einige Jahre später aus der Komintern aus.) „Der Resolutionsentwurf wird zurückgezogen", verkündete Stalin. Daraufhin erlebten wir dasselbe hysterische Schauspiel wie am Vortage. Kuusinen, Rakosi, Pepper usw. erhoben wütenden Protest, und Thälmann folgerte aus unserer skandalösen Haltung, daß die ganze Richtung unserer antifaschistischen Tätigkeit in Italien falsch sei. Er äußerte den Verdacht, daß es höchstwahrscheinlich unser Verschulden sei, wenn der Faschismus immer noch fest im Sattel sitze und forderte eine strenge Überprüfung der Politik der Kommunistischen Partei Italiens. Das geschah, und als Antwort auf unser „unerhörtes" Benehmen entdeckten diese fanatischen Zensoren, daß die grundsätzlichen Richtlinien unserer Tätigkeit, wie sie in den Jahren vorher von Antonio Gramsci formuliert worden waren, schwere kleinbürgerliche Fehler enthielten. Togliatti hielt es aus diesem Grunde für richtig, daß wir beide zur Erklärung unserer Haltung in der fraglichen Exekutivsitzung einen Brief an das Politbüro der Kommunistischen Partei Rußlands richteten. Kein Kommunist, besagte der Brief im wesentlichen, bestreitet das historische Vorrecht der russischen Genossen auf die Führung in der Internationale. Aber gerade daraus ergäben sich für die Russen besondere Pflichten. Sie könnten von ihren Rechten keinen mechanischen und eigenmächtigen Gebrauch machen. Der Brief wurde von Bucharin in Empfang genommen, der uns unmittelbar darauf rufen ließ und den Rat erteilte, ihn wieder zurückzuziehen, um unsere ohnehin schon heikle persönliche Situation nicht noch weiter zu verschlechtern. [10]
    Es folgten für mich Tage düsterer Niedergeschlagenheit. „So weit sind wir also heruntergekommen?" fragte ich mich. „Dafür haben unsere Genossen Freiheit und Leben hingegeben? Dafür führt man das einsame und gefährliche Vagabundenleben eines Fremden im eigenen Vaterlande?" Meine Niedergeschlagenheit hatte bald jenes äußerste Stadium erreicht, in dem der Wille zu erlahmen und die physische Widerstandsfähigkeit zusammenzubrechen beginne.
    Kurz bevor ich Moskau verließ, besuchte mich ein kommunistischer italienischer Arbeiter, der seit einigen Jahren als Flüchtling in Rußland lebte, um der von einem faschistischen Gerichtshof gegen ihn verhängten mehrjährigen Freiheitsstrafe zu entgehen (er ist, soviel ich weiß, noch heute Kommunist) und der sich bei mir über die demütigenden Arbeitsbedingungen in seiner Moskauer Fabrik beklagen wollte. Er war bereit, alle materiellen Einschränkungen auf sich zu nehmen, weil es offenbar nicht allein von dem guten Willen der Direktoren abhing, die herrschenden Zustände zu verbessern, aber er konnte nicht begreifen, warum die Arbeiter so völlig rechtlos jeder Willkür der Fabrikdirektion ausgeliefert waren und keine wirksame Organisation zur Verteidigung ihrer Interessen besaßen. Warum mußte es ihnen auch in dieser Hinsicht so viel schlechter gehen als in den kapitalistischen Ländern? Der größte Teil ihrer vielgerühmten Rechte stand lediglich auf dem Papier.
    Auf meiner Rückreise nach Berlin las ich in den Zeitungen, daß Trotzki von der Exekutive der Komintern wegen eines Memorandums über die Ereignisse in China scharf getadelt worden sei. Ich ging zur deutschen Parteileitung und forderte von Thälmann eine Erklärung. „ Das ist unrichtig", sagte ich zornig. Darauf erklärte er mir, daß die Satzungen der Komintern den Vorstand ermächtigen, in dringenden Fällen jeden Beschluß im Namen der Exekutive zu fassen. Während meines Aufenthaltes in Berlin – ich mußte eine Weile auf meine falschen Papiere warten – las ich weiter in den Zeitungen, daß die kommunistischen Parteien Amerikas, Ungarns und der Tschechoslowakei den Brief Trotzkis an das Politbüro der Kommunistischen Partei Rußlands energisch getadelt hatten. „Also ist das geheimnisvolle Dokument doch noch vorgelegt worden?" fragte ich Thälmann. „Nein", antwortete er mir. „Aber du solltest von den amerikanischen, ungarischen und tschechoslowakischen Kommunisten lernen, was kommunistische Disziplin bedeutet." All das sagte er ohne die geringste Ironie, vielmehr mit einem wahrhaft kläglichen Ernst,

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