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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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der ganz der dahinterstehenden gespenstischen Wirklichkeit entsprach.
     
     
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    Aus Gesundheitsgründen mußte ich mich damals geradenwegs in ein Schweizer Sanatorium begeben. Eines Tages traf ich mich mit Togliatti in einem Dorf in der Nähe meines Kurortes. Er setzte mir sehr ausführlich, offen und klar die Gründe für die von ihm gewählte Verhaltensweise auseinander. Er sagte im wesentlichen etwa folgendes: Der gegenwärtige Zustand der Komintern ist gewiß weder zufriedenstellend noch angenehm. Es liegt jedoch außerhalb unserer Macht, ihn zu ändern. Er ist durch objektive historische Umstände bedingt, die man in Rechnung stellen muß. Die Formen der proletarischen Revolution sind nicht willkürlich. Wenn sie nicht nach unserem Geschmack sind, um so schlimmer für uns. Wie sieht im übrigen die Alternative aus? Was ist aus den Kommunisten geworden, die bisher mit der eigenen Partei gebrochen haben? In welche unheilvolle Lage hat sich die Sozialdemokratie gebracht?
    Meine Einwände hiergegen waren nicht sehr logisch, vor allem wohl deshalb nicht, weil Togliattis Argumente rein politischer Natur waren, während meine Verwirrung über die Vorgänge in Moskau sehr viel tiefer reichte. Was waren das für „unerbittliche historische Formen", denen wir uns beugen mußten? Doch nicht mehr als eine neue Version der unmenschlichen Wirklichkeit, gegen die wir uns als Sozialisten empört hatten. Mir war damals zumute wie einem, der einen furchtbaren Schlag auf den Kopf erhalten hat und nun versucht, sich wieder aufzurichten, zu gehen, zu sprechen und seine Glieder zu bewegen, ohne sich recht darüber klar zu sein, was ihm zugestoßen ist.
    Diese Klarheit aber kam, wenn auch nur ganz allmählich und unter großen Mühen, im Laufe der folgenden Jahre. Noch heute denke ich darüber nach, um zu einem immer tiefer gehenden Verständnis dieser Probleme zu gelangen. Wenn ich Bücher geschrieben habe, so überhaupt nur, um diese Fragen begreifen zu können oder andern begreiflich zu machen, und ich bin mir keineswegs sicher, ob ich bereits das Ende meiner Bemühungen erreicht habe. Der Tag meines Austritts aus der Kommunistischen Partei war für mich ein sehr tragischer Tag, ein Tag der Trauer, an dem ich gewissermaßen meine verlorene Jugend zu Grabe trug. Ich stamme aus einer Gegend, in der die Trauer länger währt als anderswo. Und man kann ein so starkes Erlebnis wie das der Zugehörigkeit zur unterirdischen Organisation der Kommunistischen Partei nur schwer überwinden. Es bleibt immer etwas davon zurück, das den Charakter für das ganze Leben zeichnet. Wie leicht sind doch die ehemaligen Kommunisten zu erkennen! Sie bilden eine Menschenkategorie für sich, etwa so wie die Berufsoffiziere a. D. Die Zahl der Ex-Kommunisten hat heute schon gewaltigen Umfang erreicht. „Der Endkampf", habe ich vor kurzem noch im Scherz zu Togliatti gesagt, „wird zwischen den Kommunisten und den Ex-Kommunisten ausgetragen werden."
    Ich habe jedoch nach meinem Austritt aus der Kommunistischen Partei sorgfältig vermieden, einer der zahlreichen Gruppen und Grüppchen ehemaliger Kommunisten beizutreten. Ich habe das nie bereut, denn ich weiß, welches Verhängnis über derartigen Gruppen und Splittergruppen schwebt. Sie sind kleine Sekten, die mit allen Fehlern des offiziellen Kommunismus behaftet sind, mit seinem Fanatismus, seinem Zentralismus und seiner Abstraktheit, nur daß sie nicht über eine entsprechend große proletarische Anhängerschaft verfügen. Der logische Zwang der Opposition um jeden Preis hat viele ehemalige Kommunisten weit von ihren Ausgangspositionen weggeführt – in einigen Fällen bis zum Faschismus.
    Sorgfältiges Nachdenken über meine Erlebnisse hat die zunächst mehr oder weniger äußerlichen Beweggründe, die zu meiner Trennung vom Kommunismus führten, immer tiefer werden lassen. Mein Glaube an den Sozialismus aber, von dem wohl mein ganzes Leben Zeugnis ablegt, ist in mir lebendiger denn je. In seinem wesentlichen Kern ist er heute wieder das, was er war, als ich mich zum erstenmal gegen die alte Ordnung auflehnte: die Weigerung, das Walten eines deterministischen Schiduals anzuerkennen, die Ausdehnung sittlicher Impulse von der beschränkten individuellen und familiären Sphäre auf den ganzen Bereich des menschlichen Lebens, das Bedürfnis nach wirklicher Brüderlichkeit und der Glaube, daß der Mensch dem ganzen wirtschaftlichen und sozialen Apparat, der ihn bedrückt, im Grunde überlegen ist. Im

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