Ein Gott der keiner war (German Edition)
deutlicher an diesen Satz als an Hunderte von langen, schweren und bedrückenden Reden, die ich in den Sitzungen der Kommunistischen Internationale gehört habe. Er hat für mich symbolischen Wert bekommen.
Wie schon gesagt, war ich nur einige Male in Moskau, und dann stets nur als Mitglied von Delegationen der Italienischen Kommunistischen Partei. Ich habe nie dem eigentlichen Apparat der Komintern angehört, doch um seine wachsende Korruption zu erkennen, brauchte ich nur einige meiner Bekannten zu beobachten, die dazu gehörten. Unter ihnen bot der Franzose Jacques Doriot ein besonders typisches Beispiel. Das erstemal begegneten wir uns im Jahre 1921 in Moskau. Damals war er noch ein bescheidener, bereitwilliger und sentimentaler junger Arbeiter. Später wurde er eben dieser offenbaren Fügsamkeit und Gutmütigkeit wegen seinen jungen französischen Genossen vorgezogen, die zwar klüger und gebildeter, aber auch eigenwilliger als er waren, und für die internationale Organisation ausgewählt. Er entsprach völlig den Erwartungen, die man in einen jungen Nachwuchs-Bolschewisten setzte, und entwickelte sich allmählich zu einer Autorität unter den Funktionären des internationalen Kommunismus. Gleichzeitig aber konnte ich auch eine konstante Entwicklung zum Schlechten an ihm feststellen. Jedesmal, wenn ich ihn wiedersah, war er skeptischer, zynischer, skrupelloser geworden, war seine Einstellung zum Menschen und zum Staat zusehends faschistischer. Wenn ich meinen Widerwillen soweit meistern könnte, um eine Biographie über Jacques Doriot zu schreiben, würde ich ihr den Titel geben: „Der Weg des kommunistischen Funktionärs zum Faschismus". Einmal traf ich Doriot in Moskau, als er gerade von einer politischen Mission in China zurückgekehrt war. Er gab einigen Freunden und auch mir einen besorgniserregenden Bericht über die von der Komintern im Fernen Osten begangenen Fehler. Doch schon am nächsten Tage behauptete er vor der Plenarsitzung der Exekutive mit großem Nachdruck das Gegenteil. „Das war ein Akt politischer Klugheit", vertraute er uns nach der Sitzung mit überlegenem Lächeln an. Sein Fall verdient Erwähnung, weil er nicht allein steht. Interne Vorgänge in der Französischen Kommunistischen Partei übrigens veranlaßten Doriot später, aus der Komintern auszutreten, worauf er sich ganz offen als das zeigen konnte, was er schon lange vorher gewesen war.
Viele andere aber, die sich nicht im geringsten von ihm unterscheiden, sind an der Spitze der kommunistischen Parteien geblieben. Auf diese Doppelzüngigkeit und Demoralisierung spielte der italienische Delegierte Palmiro Togliatti in seiner Rede vor dem VI. Kongreß der Komintern an, als er um die Erlaubnis bat, die Worte des sterbenden Goethe zu zitieren: „Licht, mehr Licht!" Es war gewissermaßen sein Schwanengesang. Ein oder zwei Jahre lang kämpfte er noch mit seinem Gewissen und versuchte, trotz seiner Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei, ein offenes Wort zu reden, dann aber mußte auch er kapitulieren und sich unterwerfen.
Die Komintern litt nicht nur unter internen Gegensätzen, sondern war auch die erste, die jede Erschütterung im sowjetischen Staatsgefüge zu spüren bekam. Nach dem Tode Lenins wurde klar, daß auch der sowjetische Staat der Gefahr nicht ausweichen konnte, die jeder Diktatur drohte: der allmählichen und unerbittlich fortschreitenden Verringerung des Personenkreises, in dessen Händen die politische Macht liegt. Die Kommunistische Partei Rußlands, die alle anderen politischen Parteien beseitigt und jede Möglichkeit einer allgemeinen politischen Diskussion in den sowjetischen Parlamenten abgeschafft hatte, unterlag selbst dem gleichen Gesetz wie der Staat; die politischen Anschauungen ihrer Mitglieder wurden bald durch den Willen des Apparates ersetzt. Von diesem Augenblick an mußte jede Meinungsverschiedenheit unter den führenden Funktionären mit der physischen Vernichtung der Minderheit enden. Die Revolution, die zunächst nur ihre Feinde vernichtet hatte, begann jetzt ihre liebsten Söhne zu verschlingen. Die unersättlichen Götter gaben keine Ruhe mehr.
7
Im Mai 1927 nahm ich zusammen mit Togliatti als Vertreter der Kommunistischen Partei Italiens an einer außerordentlichen Sitzung des erweiterten Exekutiv-Komitees der Komintern teil. Togliatti kam aus Paris, wo er dem politischen Sekretariat der Italienischen KP vorstand, ich selbst aus Italien, wo ich die kommunistische
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