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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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seine Arbeit mit nach Hause nahm. Auf meine eindringliche Frage gab er zu, daß er auch jetzt eine Arbeit – Rechnungen – zu erledigen habe, worauf ich ihn beschwor, keine Umstände zu machen. Das schien ihm zu gefallen; aber bevor er sich seinen Papieren zuwandte, ließ er es sich nicht nehmen, mir auf dem Diwan eine Lagerstatt zu richten. Anfangs wollte er mir sein Bett überlassen, aber als ich das strikt ablehnte, war es ihm wohl auch recht. Ein Kissen und eine Decke wurden bei der Vermieterin geholt; Wassin war außerordentlich zuvorkommend und liebenswürdig, aber mir war es unangenehm, daß er sich meinetwegen so viel Mühe machte. Ich hatte mich sehr viel wohler gefühlt, als ich einmal, etwa vor drei Wochen, unverhofft auf der Petersburger Seite bei Jefim über Nacht bleiben mußte. Ich erinnere mich, wie er mir damals ein Lager bereitet hatte, ebenfalls auf einem Diwan, und heimlich vor seiner Tante, von der er aus irgendeinem Grunde vermutete, sie würde ärgerlich, sobald sie erführe, daß er Kameraden zum Übernachten bei sich behalte. Wir hatten viel gelacht, statt eines Bettlakens ein Hemd ausgebreitet und statt eines Kissens einen zusammengerollten Mantel hingelegt. Ich erinnere mich, wie Swerjow nach vollendeter Arbeit liebevoll auf das Sofa klatschte und zu mir sagte:
    » Vous dormirez comme un petit roi !«
    Seine törichte Heiterkeit und der französische Satz, der zu ihm paßte wie der Sattel zur Kuh, hatten bewirkt, daß ich mich damals mit größtem Behagen bei diesem Spaßvogel ausschlief. Was Wassin betrifft, war ich außerordentlich froh, als er sich endlich mit dem Rücken zu mir an seine Arbeit setzte. Ich warf mich auf den Diwan und dachte, den Blick auf seinen Rücken gerichtet, lange und über manches nach.
    III
    Aber es hatte sich ja auch genug angesammelt. In meiner Seele herrschte ein vollkommener Wirrwarr, ein Ganzes zeichnete sich nicht ab; einzelne Empfindungen machten sich deutlich bemerkbar, aber keiner einzigen wollte es gelingen, mich in ihren Bann zu schlagen – es waren eben zu viele. All das flimmerte ohne Zusammenhang und Reihenfolge vorüber, und mir selbst lag, wie ich mich erinnere, überhaupt nichts daran, bei etwas Bestimmtem zu verweilen oder für eine Reihenfolge zu sorgen. Sogar der Gedanke an Kraft glitt unmerklich in den Hintergrund. Am meisten beschäftigte mich meine eigene Lage, nämlich, daß ich nun »Schluß gemacht«, meinen Koffer mitgenommen, kein Zuhause mehr hatte und daß etwas von Grund auf Neues begann. Als wären bis zu diesem Zeitpunkt alle meine Absichten und Vorbereitungen nur ein Spaß gewesen und daß erst »jetzt, plötzlich und vor allem unvermutet alles nun wirklich anfangen wird«. Diese Idee machte mir Mut, wie groß der Wirrwarr in meiner Seele auch war, und erheiterte mich. Jedoch … jedoch gab es auch andere Empfindungen, von denen eine sich ganz besonders vor die anderen drängte, um sich meiner Seele zu bemächtigen, und eigentümlicherweise machte diese Empfindung mir ebenfalls Mut, als forderte sie mich heraus. Am Anfang stand jedoch die Angst: Ich fürchtete, ich fürchtete schon längst, ich fürchtete von vorher, daß ich mich im Eifer des Gefechts vor der Achmakowa über das Dokument verplappert hätte. “Ja, ich bin zu weit gegangen”, dachte ich, “und vielleicht werden sie daraus ihre Schlüsse ziehen … Verdammt! Selbstverständlich werden sie mir keine Ruhe lassen, sobald sie Verdacht geschöpft haben. Sollen sie doch! Vielleicht werden sie mich auch nicht finden – ich werde untertauchen! Und wenn sie mir tatsächlich auf die Spur kommen …” Und da sah ich in meiner Erinnerung bis zur letzten, kleinsten Einzelheit und mit wachsendem Vergnügen vor mir, wie ich vorhin vor Katerina Nikolajewna gestanden hatte und wie ihre unverfrorenen, aber furchtbar erstaunten Augen mich reglos anstarrten. Auch als ich hinausging, verharrte sie in dieser Verwunderung, daran erinnerte ich mich; “ihre Augen sind doch überhaupt nicht richtig schwarz …, nur die Wimpern sind tiefschwarz, deswegen erscheinen auch die Augen so dunkel …”
    Und plötzlich, ich weiß es noch genau, stieg in mir bei dieser Erinnerung ein furchtbarer Abscheu auf … Verdruß und Widerwille, sowohl gegen sie als auch gegen mich selbst. Ich machte mir Vorwürfe und bemühte mich, an anderes zu denken. “Warum empöre ich mich nicht im leisesten über Werssilow wegen der Geschichte mit der Nachbarin?” ging es mir plötzlich durch den

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