Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
sie stürmisch.
»Sie haben ein gutes Herz«, bemerkte Anna Andrejewna mit weicher Stimme, als sie sah, daß ich Lisas Hand küßte.
»Ich freue mich besonders, Lisa, daß ich dich dieses Mal lachen sehe«, sagte ich, »ob Sie mir glauben oder nicht, Anna Andrejewna, in den letzten Tagen begegnete sie mir jedes Mal mit einem irgendwie merkwürdigen Blick, und in diesem Blick mit der Frage: ›Wie, hast du vielleicht etwas gehört? Ist alles in Ordnung?‹ Bestimmt, sie hat irgend etwas auf dem Herzen.«
Anna Andrejewna richtete langsam einen aufmerksamen Blick auf sie, Lisa schlug die Augen nieder. Und ich sah übrigens in aller Deutlichkeit, daß die beiden sehr viel besser und näher miteinander bekannt waren, als ich es vorhin bei meinem Eintreten annehmen konnte; dieser Gedanke tat mir wohl.
»Sie haben eben gesagt, daß ich ein gutes Herz hätte; Sie glauben nicht, wie sehr ich mich in Ihrer Gegenwart zum Besseren verändere und wie wohl es mir tut, bei Ihnen zu sein, Anna Andrejewna«, sagte ich mit Gefühl.
»Ich freue mich sehr, daß Sie gerade jetzt so reden«, sagte sie mit besonderem Nachdruck. Ich muß sagen, daß sie niemals mit mir über mein chaotisches Leben und den Sumpf, in den ich geraten war, gesprochen hatte, wiewohl sie, das wußte ich, nicht nur alle Einzelheiten kannte, sondern auch Erkundigungen einholte. Also durfte ich ihre Worte jetzt als eine Art erster Andeutung verstehen und – mein Herz wandte sich ihr noch mehr zu.
»Wie geht es unserem Kranken?« fragte ich.
»Oh, es geht ihm viel besser: Er ist auf den Beinen, und gestern und heute ist er ausgefahren. Sind Sie denn auch heute nicht bei ihm gewesen? Er erwartet Sie dringend.«
»Ich habe vor ihm ein schlechtes Gewissen, aber jetzt besuchen Sie ihn ja, und Sie ersetzen mich vollständig: Er ist ein großer Verräter, weil er Sie mir vorgezogen hat.«
Sie machte ein sehr ernstes Gesicht, weil mein Scherz, das war durchaus möglich, als trivial empfunden werden konnte.
»Ich war vorhin beim Fürsten Sergej Petrowitsch«, murmelte ich, »und ich … Übrigens, Lisa, du bist doch vorhin bei Darja Onissimowna gewesen?«
»Ja, war ich«, antwortete sie irgendwie kurz und ohne den Kopf zu heben. »Aber du besuchst doch, glaubte ich, den kranken Fürsten jeden Tag?« fragte sie plötzlich, unvermittelt, vielleicht nur, um irgend etwas zu sagen.
»Stimmt. Ich mache mich täglich auf den Weg, komme aber nicht bei ihm an«, sagte ich lächelnd, »sondern verschwinde gleich noch im Vestibül links um die Ecke.«
»Sogar dem Fürsten ist aufgefallen, daß Sie sehr oft Katerina Nikolajewna aufsuchen. Er hat gestern davon gesprochen und hat gelacht«, sagte Anna Andrejewna.
»Aber worüber, worüber hat er gelacht?«
»Er hat gescherzt, Sie kennen ihn ja. Er sagte, daß üblicherweise eine junge schöne Frau in einem jungen Mann Ihres Alters stets nichts als Entrüstung und Zorn weckt …« Anna Andrejewna lachte plötzlich.
»Hören Sie … Wissen Sie, daß er da etwas ungeheuer Treffendes gesagt hat!« rief ich. »Wahrscheinlich hat nicht er, sondern Sie selbst haben es gesagt!«
»Wieso denn? Nein, er war es.«
»Aber wie, wenn diese Schöne ihm ihre Aufmerksamkeit schenkt, ungeachtet dessen, daß er so bedeutungslos ist, sich in die Ecke verkriecht und schmollt, weil er ›der Kleine‹ ist, und ihn plötzlich der ganzen Schar der sie umdrängenden Anbeter vorzieht – was dann?« fragte ich plötzlich mit der kühnsten und herausfordernden Miene. Mein Herz klopfte zum Zerspringen.
»Dann bist du auf der Stelle verloren«, sagte Lisa lachend.
»Verloren?« rief ich. »Nein, ich bin nicht verloren. Nein, ich glaube, daß ich auch dann nicht verloren bin. Wenn sich eine Frau mir in den Weg stellt – muß sie mir folgen. Man hält mich nicht ungestraft auf meinem Weg auf …«
Lisa erzählte mir einmal ganz nebenbei, viel später, als wir uns daran erinnerten, daß ich damals diesen Satz todernst, eigentümlich gedankenverloren, hervorgebracht hätte; aber zugleich »so komisch, daß es ganz unmöglich war, das Lachen zurückzuhalten«; und in der Tat, Anna Andrejewna brach abermals in Lachen aus.
»Lachen Sie, lachen Sie nur über mich!« rief ich in meiner Verzückung, da dieses ganze Gespräch und seine Richtung mir größtes Vergnügen bereitete, »da Sie es sind, macht es mir nichts als Vergnügen. Ich liebe Ihr Lachen, Anna Andrejewna! Sie haben etwas Besonderes an sich: Sie schweigen und lachen plötzlich auf,
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