Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
eindringlich.
»Es steht Ihnen nicht zu, davon zu sprechen. Und es steht Ihnen nicht zu, überhaupt von Anna Andrejewna zu sprechen.«
»Nur nicht so stolz, nur noch ein winziges Minütchen! Hören Sie: Er wird das Geld bekommen und alle versorgen«, sagte Stjebelkow mit besonderer Betonung, »alle, alle – folgen Sie mir?«
»Sie denken also, dann würde ich Geld von Ihnen nehmen?«
»Sie nehmen es doch jetzt?«
»Ich nehme mein eigenes!«
»Wieso Ihr eigenes?«
»Es ist Werssilows Geld: Er schuldet Werssilow zwanzigtausend.«
»Also Werssilow, und nicht Ihnen.«
»Werssilow ist mein Vater.«
»O nein, Sie sind ein Dolgorukij und nicht ein Werssilow.«
»Das ist egal!«
In der Tat, damals war ich fähig, so zu argumentieren. Ich wußte, daß es keineswegs egal war. So dumm war ich ja nicht. Aber trotzdem hatte ich damals aus »Taktgefühl« so argumentiert.
»Genug!« rief ich. »Ich verstehe nichts. Und wie konnten Sie sich unterstehen, mich wegen solcher Kleinigkeiten kommen zu lassen?«
»Ist es denn möglich, daß Sie wirklich nichts verstehen? Sie tun doch nur so, oder etwa nicht?« fragte Stjebelkow bedächtig, indem er mich mit einem durchdringenden Blick, irgendwie mißtrauisch musterte.
»Bei Gott, ich verstehe nichts!«
»Ich sage: Er wird alle versorgen können, alle, kommen Sie nur keinem ins Gehege, und reden Sie es keinem aus …«
»Sie haben offensichtlich den Verstand verloren! Was wollen Sie mit diesem ›alle‹, das Sie so betonen? Soll das Werssilow sein, den er versorgen wird?«
»Es geht nicht nur um Sie und auch nicht nur um Werssilow … Da gibt es noch andere. Und Anna Andrejewna ist doch ebenso Ihre Schwester wie Lisaweta Makarowna! «
Ich starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Plötzlich blitzte etwas wie Mitleid in seinem ekelhaften Blick auf:
»Sie verstehen nicht, um so besser. Es ist gut, sehr gut, daß Sie nicht verstehen. Lobenswert … wenn Sie tatsächlich nicht verstehen.«
Ich geriet völlig außer mir.
»Zur Hölle mit Ihnen und Ihren dummen Reden, Sie Wahnsinniger!« rief ich und packte meinen Hut.
»Keine dummen Reden! Abgemacht? Verlassen Sie sich drauf, Sie werden wiederkommen.«
»Nein!« Ich stand schon auf der Schwelle.
»Sie werden wiederkommen und dann … dann reden wir anders. Dann kommt das Hauptgespräch. Zweitausend, denken Sie dran!«
II
Er hatte auf mich einen derart üblen und verwirrenden Eindruck gemacht, daß ich mir schon auf der Straße alle Mühe gab, überhaupt nicht daran zu denken und es abzuschütteln. Der Gedanke, daß der Fürst mit ihm über mich und über dieses Geld gesprochen hatte, schmerzte wie ein Nadelstich. “Ich werde gewinnen und es heute noch zurückgeben”, dachte ich entschlossen.
Wie dumm Stjebelkow auch gewesen war, wie ungelenk er auch gesprochen hatte, ich konnte dennoch den Schurken reinsten Wassers, in seiner höchsten Form, nicht übersehen und ahnte, daß irgendeine Intrige dahinterstecken mußte. Aber ich hatte damals keine Zeit, mich mit irgendwelchen Intrigen abzugeben, und das war der Hauptgrund meiner Blindheit! Ich warf einen unruhigen Blick auf die Uhr, aber es war noch nicht einmal zwei; folglich reichte die Zeit für noch einen weiteren kurzen Besuch, sonst wäre ich bis drei vor Aufregung gestorben. Ich ließ mich zu Anna Andrejewna Werssilowa fahren, zu meiner Schwester. Mit ihr hatte ich schon längst bei meinem alten Fürsten Freundschaft geschlossen, und zwar während seiner Krankheit. Der Gedanke, daß ich ihn schon drei oder vier Tage nicht besucht hatte, belastete mein Gewissen; aber es war gerade Anna Andrejewna, die für mich eingesprungen war: Der Fürst hatte eine außerordentliche Zuneigung zu ihr gefaßt und sie in meiner Gegenwart sogar seinen Schutzengel genannt. Übrigens war der Gedanke, sie mit Fürst Sergej Petrowitsch zu verheiraten, tatsächlich dem Kopf meines guten Alten entsprungen, und er hatte ihn sogar mir gegenüber mehrfach geäußert, natürlich streng vertraulich. Ich hatte von dieser Idee Werssilow erzählt, da ich schon früher bemerkt hatte, daß er sich an allem Alltäglichen, das ihm so völlig gleichgültig war, stets irgendwie ganz besonders interessiert zeigte, wenn ich ihm irgend etwas von meinen Begegnungen mit Anna Andrejewna erzählte. Damals hatte Werssilow nur vor sich hin gemurmelt, daß Anna Andrejewna klug genug sei, um in einer derart heiklen Angelegenheit auf den Rat Außenstehender nicht angewiesen zu sein.
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