Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
zugehört: Sie ahnte, warum ich ihn so lobte. Lisa, den Kopf über die Arbeit gebeugt, hörte ebenfalls zu und hatte sich schon lange nicht mehr an dem Gespräch beteiligt.
Ich fuhr auf.
»Werden Sie jetzt zu spät kommen?«
»Ja … Nein … Doch, ich werde zu spät kommen, ich muß mich beeilen. Aber es gibt ein Wort, Anna Andrejewna«, begann ich erregt, »das will ich heute unbedingt vor Ihnen aussprechen! Ich will Ihnen gestehen, daß ich schon mehr als einmal Ihre Güte und Ihr Taktgefühl, mit dem Sie mich aufgefordert hatten, Sie aufzusuchen, gesegnet habe … Auf mich hat die Bekanntschaft mit Ihnen den allertiefsten Eindruck gemacht. Ich habe das Gefühl, daß meine Seele sich in Ihrem Zimmer gleichsam reinigt und daß ich Sie als ein besserer Mensch verlasse als der, der ich bin. Wenn ich an Ihrer Seite sitze, bin ich nicht nur außerstande, über Schlechtes zu sprechen, sondern sogar, Schlechtes zu denken; in Ihrer Gegenwart schwinden die schlechten Gedanken, und wenn mich in Ihrer Nähe ein schlechter Gedanke auch nur streift, schäme ich mich dieser Schlechtigkeit, werde verlegen und innerlich schamrot. Und Sie sollen wissen, daß es mir besonders wohlgetan hat, heute meine Schwester bei Ihnen anzutreffen … Dies betrachte ich als ein Zeugnis Ihres großen Edelmuts … eine so wunderschöne Beziehung … Kurz, Sie haben damit etwas so Geschwisterliches erkennen lassen, wenn Sie mir schon gestatten, das Eis zu brechen, daß ich …«
Während ich sprach, erhob sie sich von ihrem Platz und errötete mehr und mehr; aber plötzlich schien sie vor etwas zurückzuschrecken, vor einer Grenze, die man nicht überschreiten sollte, und fiel mir rasch ins Wort:
»Glauben Sie, daß ich Ihre Empfindungen von ganzem Herzen zu schätzen weiß … Ich habe auch ohne Worte verstanden … Und das schon seit geraumer Zeit …«
Sie hielt verlegen inne und drückte mir die Hand. Plötzlich zupfte Lisa mich verstohlen am Ärmel. Ich verabschiedete mich und ging; aber schon im nächsten Zimmer holte mich Lisa ein.
IV
»Lisa, warum hast du mich am Ärmel gezupft?« fragte ich.
»Sie ist schlecht, sie ist schlau, sie ist es nicht wert, daß … Sie braucht dich, um dich auszuhorchen«, flüsterte sie hastig und böse. Noch nie hatte ich an ihr ein solches Gesicht gesehen.
»Lisa, Gott behüte, sie – ein so reizendes junges Mädchen!«
»Dann bin ich – schlecht.«
»Was ist mit dir?«
»Ich bin sehr böse. Sie ist, das kann sein, das reizendste junge Mädchen, und ich bin böse. Genug, lassen wir das. Hör zu: Mama bittet dich um etwas, ›was sie selbst nicht auszusprechen wagt‹, so hat sie selbst gesagt. Arkadij, Lieber! Hör auf zu spielen, Lieber, ich flehe dich an … und Mama auch …«
»Lisa, ich weiß es selbst, aber … Ich weiß, es ist – erbärmlicher Kleinmut, aber es hat nichts zu bedeuten, gar nichts! Siehst du, ich habe Schulden gemacht, wie ein Idiot, und ich will gewinnen, nur um sie zurückzuzahlen. Es ist durchaus möglich, daß ich gewinne, denn ich habe früher unüberlegt, kopflos gespielt, jetzt aber werde ich um jeden Rubel zittern … Ich bin nicht ich, wenn ich nicht gewinne! Ich bin nicht süchtig geworden; das ist nicht die Hauptsache, sondern etwas Vorübergehendes, das schwöre ich! Ich bin zu stark, um nicht aufhören zu können, sobald ich es will. Wenn ich das Geld zurückgezahlt habe, gehöre ich euch ungeteilt, und sage Mama, daß ich immer bei euch bleiben werde …«
»Diese dreihundert Rubel sind dich vorhin teuer zu stehen gekommen!«
»Woher weißt du das?«
Ich zuckte förmlich zusammen.
»Darja Onissimowna hat vorhin alles gehört …«
Aber im nächsten Augenblick stieß Lisa mich plötzlich hinter eine Portiere, und wir fanden uns hinter dem Vorhang in einer sogenannten »Laterne«, das heißt in einem kleinen, runden Erker, der nur aus Fenstern bestand. Ich war noch nicht zu mir gekommen, als ich eine mir bekannte Stimme hörte, Sporenklirren und den dazugehörenden Schritt.
»Fürst Serjoscha!« flüsterte ich.
»Er ist es«, flüsterte sie.
»Was hat dich so erschreckt?«
»Nur so; ich möchte um nichts in der Welt, daß er mir begegnet …«
»Tiens, macht er dir etwa den Hof?« Ich lächelte. »Dann würde ich’s ihm schon zeigen! Wohin?«
»Wir wollen gehen; ich komme mit dir.«
»Hast du dich denn dort schon verabschiedet?«
»Das habe ich; mein Pelz ist im Flur …«
Wir verließen die Wohnung; im Treppenhaus
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