Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
unvermittelt, so daß man Ihrem Gesicht vor diesem Augenblick nichts anmerkt. Ich habe in Moskau eine Dame gekannt, nur auf Distanz, ich beobachtete sie aus meinem Winkel: Sie war fast ebenso wunderschön wie Sie. Aber sie konnte nicht auf Ihre Art lachen, und ihr Gesicht, das ebenso anziehend wie das Ihre war, verlor alles Anziehende; das Ihre dagegen ist ungemein anziehend … gerade durch diese Eigenart … Das wollte ich Ihnen schon lange erzählen.«
Als ich von der Dame sprach, die »ebenso wunderschön wie Sie« war, erlaubte ich mir eine List: Ich gab mir den Anschein, es wäre mir unbeabsichtigt entschlüpft und als hätte ich es selbst nicht bemerkt; ich wußte sehr gut, daß ein solches »unwillkürlich entschlüpftes« Kompliment von einer Frau viel höher geschätzt wird als jedes noch so glänzend polierte Lob. Wie tief Anna Andrejewna darauf auch errötete, ich wußte doch, daß es ihr angenehm war. Auch diese Dame hatte ich erfunden: Ich habe in Moskau überhaupt keine Dame gekannt; ich wollte nur Anna Andrejewna ein Kompliment machen und ihr Vergnügen bereiten.
»Man könnte wirklich glauben«, sagte sie mit reizendem Lächeln, »daß Sie in den letzten Tagen unter dem Einfluß einer wunderschönen Frau gestanden haben.«
Ich hatte das Gefühl zu schweben … In mir regte sich sogar der Wunsch, den beiden etwas anzuvertrauen … aber ich beherrschte mich.
»Übrigens ist es noch gar nicht so lange her, daß Sie sich über Katerina Nikolajewna feindlich geäußert haben.«
»Sollte ich mich irgendwie abfällig geäußert haben«, entgegnete ich mit funkelnden Augen, »so lag es an der monströsen Verleumdung, sie sei eine verbissene Feindin Andrej Petrowitschs; ebenso an der Verleumdung seiner selbst, er hätte sie geliebt, ihr einen Heiratsantrag gemacht und ähnliches mehr. Diese Idee ist ebenso ungeheuerlich wie auch die andere verleumderische Variante, sie hätte angeblich, noch zu Lebzeiten ihres Gatten, dem Fürsten Sergej Petrowitsch das Versprechen gegeben, ihn zu ehelichen, sobald sie Witwe wäre, dann aber ihr Wort nicht gehalten. Aber ich weiß es aus sicherer Quelle, daß sich alles anders verhalten hat und lediglich ein Scherz gewesen ist. Ich weiß es aus sicherer Quelle. Eines Tages hatte sie dort, im Ausland, tatsächlich dem Fürsten scherzend gesagt: ›Vielleicht, in einer unbestimmten Zukunft‹, aber was konnte es anderes bedeuten, dieses leicht hingeworfene Wort? Ich weiß ganz genau, daß auch der Fürst seinerseits ein solches Versprechen nicht überschätzt und daß es seinen Absichten keineswegs entspräche«, fügte ich wohlbedacht hinzu. »Er scheint ganz andere Ideen zu haben«, fuhr ich geschickt fort. »Vorhin hat Naschtschokin erzählt, Katerina Nikolajewna werde Baron Bjoring heiraten: Glauben Sie mir, er hat diese Neuigkeit glänzend überstanden, davon können Sie überzeugt sein.«
»Naschtschokin hat ihn aufgesucht?« fragte Anna Andrejewna plötzlich, betont und gleichsam überrascht.
»O ja, ich glaube, das ist einer aus diesen höheren Kreisen …«
»Und Naschtschokin hat sich mit ihm über die Hochzeit mit Bjoring unterhalten?« Plötzlich schien Anna Andrejewna sehr interessiert.
»Nicht über die Hochzeit, sondern nur so, als Möglichkeit, als Gerücht; er sagte, daß in der Gesellschaft dieses Gerücht kursiere; was mich angeht, so bin ich überzeugt, daß das alles Quatsch ist.«
Anna Andrejewna überlegte und beugte sich über ihre Näharbeit.
»Ich liebe den Fürsten Sergej Petrowitsch«, fügte ich plötzlich feurig hinzu, »er hat seine Fehler, zweifellos, ich habe mit Ihnen schon darüber gesprochen, er hat sozusagen Zwangsvorstellungen … Aber auch seine Mängel zeugen von einer edlen Seele, nicht wahr? Wir haben uns heute zum Beispiel wegen einer Idee fast zerstritten: Er ist überzeugt, daß man, falls man von Edelmut spräche, auch selbst edelmütig sein solle, sonst sei alles, was man rede, nichts als Lüge. Ist denn das logisch? Aber es zeugt von hohen Vorstellungen in seiner Seele, von hohen Anforderungen an sich selbst, von Ehrgefühl, Pflichtbewußtsein, Gerechtigkeitssinn – nicht wahr? … Oh, mein Gott, wie spät ist es denn?« rief ich plötzlich, als mein Blick zufällig das Zifferblatt der Kaminuhr streifte.
»Zehn Minuten vor drei«, sagte sie nach einem Blick auf die Uhr. Die ganze Zeit, während ich über den Fürsten sprach, hatte sie mir mit gesenktem Blick und einem wissenden, aber wohlwollenden Lächeln
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