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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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seinerzeit mit Tatjana Pawlowna persönlich in diesem Sinne verhandelt, aber »unverzeihlicherweise alles vergessen« habe. Ich brauste auf und erklärte definitiv, daß es von mir niederträchtig sei, ein Gehalt für die Klatschgeschichte einzustecken, wie ich zwei Schleppen ins Institutsviertel begleitet hätte, daß ich die Stellung nicht angenommen habe, um ihn zu unterhalten, sondern um zu arbeiten, und daß, wenn es nichts zu arbeiten gebe, ein Schlußstrich gezogen werden müsse usf., usf. Ich habe überhaupt nicht geahnt, daß man so erschrecken könnte wie er, nachdem er diese meine Worte gehört hatte. Selbstverständlich endete alles damit, daß ich nicht länger widersprach und er mir fünfzig Rubel trotzdem in die Hand drückte, heute noch möchte ich am liebsten in Grund und Boden versinken, daß ich sie angenommen habe! In der Welt behält immer die Gemeinheit das letzte Wort, und ihm war es damals beinahe gelungen, und das war das schlimmste, mich davon zu überzeugen, ich hätte sie unbestreitbar verdient, ich aber war dumm genug, ihm zu glauben, und noch dazu völlig außerstande, mich ihm zu widersetzen.
    » Cher, cher enfant !« rief er aus, indem er mich küßte und umarmte (ich gestehe, daß mir selber, weiß der Teufel warum, die Tränen kamen, die ich allerdings augenblicklich unterdrückte, und daß ich sogar jetzt, beim Schreiben, erröten muß). »Mein lieber Freund, du gehörst jetzt fast zur Familie; in diesem Monat bist du mir einfach ans Herz gewachsen! Die ›große Welt‹ ist nur die ›große Welt‹ und sonst nichts, Katerina Nikolajewna«, (seine Tochter), »ist eine glänzende Erscheinung, und ich bin stolz auf sie, aber oft, sehr, sehr oft kränkt sie mich, mein Lieber … Ach ja, all diese kleinen Mädchen ( elles sont charmantes ) und auch ihre Mütter, die bei mir zum Namenstag erscheinen – sie bringen nur ihre Kreuzstichstickereien mit, aber ihnen fällt einfach nichts ein. Ihre Stickereien, die ich besitze, genügen für sechzig Kissen, lauter Hunde und Hirsche. Ich liebe sie sehr, aber mit dir fühle ich mich wie mit einem Verwandten – und nicht wie mit einem Sohn, sondern wie mit einem Bruder, und ganz besonders liebe ich es, wenn du mir widersprichst; du bist literarisch beschlagen, du bist belesen, du kannst dich begeistern …«
    »Ich bin überhaupt nicht belesen und habe keinerlei literarische Neigungen. Ich habe gelesen, was mir in die Hände kam, und in den letzten zwei Jahren überhaupt nichts. Und ich werde auch weiterhin nicht lesen.«
    »Warum denn nicht?«
    »Ich habe andere Ziele.«
    »Cher … Schade, wenn du am Ende des Lebens sagen müßtest: › Je sais tous, mais je ne sais rien de bon. ‹ Ich weiß ganz und gar nicht, wozu ich auf der Welt gelebt habe! Aber … ich bin dir sehr verpflichtet … Und ich habe sogar vor …«
    Plötzlich verstummte er irgendwie, erschlaffte und versank in Nachdenken. Nach dieser Erschütterung (und die Erschütterungen konnten jeden Augenblick wechseln, aus beliebigem Anlaß) verlor er für gewisse Zeit gleichsam den gesunden Menschenverstand und die Selbstbeherrschung; allerdings faßte er sich sehr bald, so daß es ihm nicht weiter schadete. Wir saßen eine Minute lang stillschweigend da. Seine sehr volle Unterlippe hing schlaff herunter … Am meisten wunderte es mich, daß er plötzlich seine Tochter erwähnt hatte, und zwar so offenherzig. Natürlich erklärte ich mir das mit seinem abgespannten Zustand.
    »Cher enfant, du nimmst es mir doch nicht übel, daß ich dich duze, nicht wahr?« fragte er plötzlich.
    »Nicht im geringsten. Ich gebe zu, daß ich anfangs, nach den ersten Tagen, ein wenig gekränkt war, und bereitete mich darauf vor, Sie gleichfalls zu duzen, sah aber ein, daß es dumm gewesen wäre, denn Sie duzen mich ja nicht, um mich zu erniedrigen?«
    Aber er hörte nicht mehr zu und hatte seine Frage bereits vergessen.
    »Nun, wie geht es dem Vater? « Plötzlich hob er die Augen und sah mich versonnen an.
    Ich zuckte förmlich zusammen. Erstens bezeichnete er Werssilow als meinen Vater, was er sich bisher mir gegenüber noch nie erlaubt hatte, und zweitens erkundigte er sich nach Werssilow, was bisher noch nie vorgekommen war.
    »Er sitzt da ohne Geld und bläst Trübsal«, antwortete ich einsilbig, wiewohl ich vor Neugier verging.
    »Ach ja, was das Geld betrifft. Heute wird im Bezirksgericht der Prozeß entschieden, und ich erwarte den Fürsten Serjoscha, was der wohl für Nachrichten

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