Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
meiner Seele ein. Ich warf mich auf den Diwan und schluchzte: »Lisa! Lisa! Arme, unglückselige Lisa!« Plötzlich, mit einem Schlag, zweifelte der Fürst nicht mehr.
»Mein Gott, wie habe ich Ihnen unrecht getan!« rief er in tiefem Schmerz. »Oh, wie niedrig habe ich von Ihnen gedacht in meinem Argwohn … Vergeben Sie mir, Arkadij Makarowitsch!«
Ich sprang plötzlich auf, wollte ihm etwas sagen, blieb eine Weile vor ihm stehen, rannte aber wortlos aus dem Zimmer und aus dem Haus. Ich weiß, daß ich zu Fuß zu Hause ankam, kann mich aber an den Weg nicht mehr erinnern. Ich warf mich auf mein Bett, vergrub mein Gesicht in die Kissen und grübelte, grübelte in der Dunkelheit. In solchen Minuten kommen die Gedanken niemals geordnet und folgerichtig. Ob ich nun dachte oder phantasierte – der Faden meiner Gedanken und Vorstellungen riß immer wieder ab, und ich weiß noch, daß ich sogar von weit entlegenen Dingen träumte, Gott weiß wovon. Aber Jammer und Unheil brachten sich plötzlich wieder in Erinnerung und ließen mich voller Leid und Schmerz die Hände ringen und rufen: »Lisa, Lisa!«, bis mir wieder die Tränen kamen. Ich weiß nicht mehr, wie ich eingeschlafen bin, aber ich schlief einen festen und süßen Schlaf.
Siebtes Kapitel
I
Am nächsten Morgen erwachte ich gegen acht, schloß augenblicklich meine Tür ab, setzte mich ans Fenster und versank in Gedanken. So saß ich bis zehn. Das Dienstmädchen hatte bereits zweimal geklopft, aber ich schickte sie jedesmal weg. Endlich, schon gegen elf, wurde wieder geklopft. Ich wollte wieder abwehren, aber es war Lisa. Die Dienstmagd folgte ihr, brachte mir den Kaffee und schickte sich an, den Ofen anzuheizen. Die Dienstmagd wegzuschicken war nicht ratsam, und die ganze Zeit, während Fekla Holz aufschichtete und zum Brennen brachte, lief ich mit großen Schritten in meinem kleinen Zimmer auf und ab, stumm und sogar bemüht, Lisa nicht anzusehen. Die Dienstmagd verrichtet ihre Arbeit mit unaussprechlicher Langsamkeit, und dies nicht ohne Absicht, wie alle Dienstboten in solchen Fällen, wenn sie merken, daß ihre Gegenwart die Herrschaften am Sprechen hindert. Lisa hatte sich auf den Stuhl vor dem Fenster gesetzt und beobachtete mich.
»Dein Kaffee wird kalt«, sagte sie plötzlich.
Da sah ich sie an: nicht die geringste Verlegenheit, völlige Ruhe und auf den Lippen sogar ein Lächeln.
»So sind die Frauen!« Ich hielt es nicht länger aus und zuckte die Schultern. Endlich hatte die Dienstmagd den Ofen versorgt und wollte nun aufräumen, aber ich schickte sie energisch hinaus und schloß endlich die Tür hinter ihr ab.
»Sag mir doch bitte, warum du die Tür wieder abgeschlossen hast?« fragte Lisa.
Ich pflanzte mich vor ihr auf.
»Lisa, konnte ich es jemals für möglich halten, daß du mich so hintergehst!« rief ich plötzlich aus, ohne vorher auch nur zu ahnen, daß ich so anfangen würde, und diesmal waren es nicht die Tränen, sondern ein plötzliches ungutes, stechendes Gefühl in meinem Herzen, und zwar für mich völlig unerwartet. Lisa errötete, antwortete aber nicht, sondern fuhr nur fort, mir gerade in die Augen zu sehen.
»Moment, Lisa, Moment, oh, ich war ja so dumm! Aber war ich das wirklich? Alle Zeichen haben sich erst gestern zu einem Ganzen zusammengefügt, woran hätte ich es vorher erkennen können? Etwa daran, daß du die Stolbejewa und diese … Darja Onissimowna besucht hast? Aber du bist für mich eine Sonne gewesen, Lisa, wie hätte ich auf so etwas überhaupt kommen sollen! Weißt du noch, wie ich dir damals begegnet bin? Das war vor zwei Monaten, in seiner Wohnung, und wie wir dann in der Sonne gingen und uns freuten … War es damals schon so? War es schon so?«
Sie antwortete mit einem bejahenden Nicken.
»Dann hast du mich schon damals hintergangen. Es lag nicht an meiner Dummheit, Lisa, es war eher mein Egoismus, nicht meine Dummheit war hier die Ursache, sondern mein egoistisches Herz und – und vielleicht auch mein sicherer Glaube an etwas Heiliges. Oh, ich war stets davon überzeugt, daß ihr alle mich unendlich überragt, und – nun! Schließlich, gestern, an einem einzigen Tag, ich konnte kaum folgen, ungeachtet aller Anspielungen … Ich war gestern außerdem mit etwas ganz anderem beschäftigt!«
Plötzlich fiel mir Katerina Nikolajewna ein, und wieder spürte ich schmerzhaft den Nadelstich in meinem Herzen und wurde rot bis über die Ohren. In diesem Augenblick konnte ich natürlich kein guter
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