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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Und da habe ich ihm heute gesagt: Ja. Mein lieber Arkadij, er bittet dich sehr, zu kommen und ihm das Gestrige nicht nachzutragen: Er fühlt sich heute nicht ganz wohl und ist den ganzen Tag zu Hause. Er ist tatsächlich leidend, Arkadij: Du darfst nicht denken, das sei eine Ausrede. Er hat mich eigens zu dir geschickt und gebeten, dir auszurichten, er könne dich ›nicht entbehren‹, daß er dir vieles sagen müsse, was man hier, in dieser Wohnung, nicht ohne weiteres aussprechen kann. Also, leb wohl! Ach, Arkadij, ich schäme mich, es zu gestehen, aber auf dem Weg zu dir habe ich mich entsetzlich gefürchtet, du könntest mich nicht mehr lieben, und habe mich die ganze Zeit bekreuzigt, und nun bist du so gut und so lieb zu mir! Ich werde dir das nie vergessen! Ich muß zu Mama. Und du sollst ihn wenigstens ein bißchen liebgewinnen, ja?«
    Ich umarmte sie innig und sagte:
    »Ich glaube, Lisa, daß du ein starker Charakter bist. Ja, ich glaube dir, daß nicht du ihm nachläufst, sondern er dir nachläuft, trotzdem …«
    »Trotzdem: ›Wofür hast du ihn liebgewonnen – das ist die Frage!‹« fiel mir Lisa plötzlich ins Wort, mit dem gleichen schalkhaften Lachen wie früher, wobei sie mich bei »das ist die Frage!« einfach täuschend nachmachte. Dabei hob sie, wie ich bei diesem Satz gern tue, den Zeigefinger mahnend vor die Augen. Wir küßten uns, aber als sie gegangen war, wurde es mir wieder schwer ums Herz.
    II
    An dieser Stelle eine Anmerkung nur für mich selbst: Es gab Augenblicke, zum Beispiel nach Lisas Abschied, da mir die unerwartetsten Gedanken in Menge durch den Kopf gingen und ich mit ihnen sogar höchst zufrieden war. “Na, warum rege ich mich so auf?” dachte ich. “Was kümmert mich das? Allen geht es so, oder ungefähr so. Was ist denn dabei, daß Lisa so etwas zugestoßen ist? Muß ich denn etwa die ‘Ehre der Familie’ retten?” Ich führe alle diese Gemeinheiten an, um zu zeigen, wie schwankend mein Verständnis von Gut und Böse war. Mich rettete nur ein Gefühl: Ich wußte, daß Lisa unglücklich war, daß Mama unglücklich war, ich wußte es gefühlsmäßig, sobald ich mich an sie erinnerte, und ich fühlte es deshalb, weil wohl alles, was geschehen war, übel sein mußte.
    Jetzt sage ich vorab, daß von diesem Tag an die Ereignisse bis zu der Katastrophe, das heißt bis zu meiner Krankheit, mit einer solchen Geschwindigkeit hereinbrachen, daß ich mich jetzt, da ich sie mir vergegenwärtige, sogar selbst wundern muß, wie ich ihnen standgehalten habe und wie mein Geschick mich nicht vollends erdrückt hat. Sie schwächten meinen Verstand und sogar meine Gefühle, und wenn ich, zum Schluß, nicht standgehalten und ein Verbrechen begangen hätte (und zu einem Verbrechen wäre es um Haaresbreite gekommen), so hätten die Geschworenen, möglicherweise, mich freigesprochen. Aber ich will mich bemühen, beim Beschreiben eine strenge Ordnung einzuhalten, obwohl ich im voraus darauf hinweise, daß damals in meinen Gedanken nur wenig Ordnung herrschte. Die Ereignisse fegten über mich hinweg wie ein Sturmwind, und meine Gedanken wirbelten in meinem Kopf wie dürres Herbstlaub. Da ich ganz aus fremden Gedanken bestand, wie hätte ich zu eigenen kommen sollen, als sie für einen selbständigen Entschluß unentbehrlich waren? Weit und breit war niemand, der mich hätte leiten können.
    Ich hatte mich entschlossen, den Fürsten erst abends aufzusuchen, um dann mit ihm in voller Freiheit alles zu besprechen, und bis zum Abend zu Hause zu bleiben. Es begann schon zu dämmern, als ich durch die Stadtpost einen Brief von Stjebelkow erhielt, drei Zeilen, mit der dringendsten und »überzeugendsten« Bitte, ihn morgen gegen elf Uhr vormittags aufzusuchen, »in Angelegenheiten von höchster Wichtigkeit, wovon Sie sich selbst überzeugen werden«. Nach einigem Überlegen entschied ich mich, den Umständen entsprechend zu handeln, denn bis morgen war es noch lange.
    Es war schon acht; ich hätte mich schon längst auf den Weg gemacht, aber ich wartete auf Werssilow: Ich hatte ihm viel zu sagen, und mein Herz brannte. Aber Werssilow erschien nicht, und dabei blieb es. Bei Mama und bei Lisa mich zu zeigen schien mir fürs erste unmöglich, und auch Werssilow, ahnte ich, hatte sich dort den ganzen Tag nicht gezeigt. Also machte ich mich zu Fuß auf den Weg, aber unterwegs kam mir der Gedanke, in das gestrige Lokal am Kanal einen Blick zu werfen. Und richtig, Werssilow saß dort auf seinem gestrigen

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