Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
hat dieser Offizier ihm gedroht?«
    »Nichts wird ihm geschehen, Mama, nichts und niemals wird ihm etwas geschehen, und es kann auch nichts geschehen. Dieser Mensch ist so! Da kommt Tatjana Pawlowna, fragen Sie Tatjana Pawlowna, wenn Sie mir nicht glauben, hier ist sie.« (Tatjana Pawlowna trat plötzlich ins Zimmer.) »Leben Sie wohl, Mama. Ich bin bald wieder bei Ihnen, und wenn ich komme, werde ich dasselbe fragen …«
    Ich stürmte hinaus; ich konnte niemand mehr ertragen, Tatjana Pawlowna schon gar nicht; und Mama machte mir das Herz schwer. Ich wollte allein sein, allein.
    V
    Aber ich hatte noch nicht einmal die eine Straße hinter mich gebracht, als ich fühlte, daß ich nicht weitergehen und dieses fremde, teilnahmslose Volk gedankenlos anrempeln konnte; aber wohin sollte ich? Wer brauchte mich und – und was brauchte ich jetzt? Ich fand mich automatisch beim Fürsten Sergej Petrowitsch, ohne an ihn überhaupt zu denken. Er war nicht daheim. Ich sagte Pjotr (seinem Diener), daß ich in seinem Kabinett auf ihn warten würde (wie schon viele Male vorher). Sein Kabinett war ein großer, sehr hoher Raum, mit allerlei Möbel vollgestopft. Ich suchte mir die dunkelste Ecke, setzte mich auf den Diwan, stemmte die Ellbogen auf den Tisch und legte den Kopf in beide Hände. Ja, das war die Frage: »Was brauche ich jetzt?« Wenn ich damals auch imstande war, diese Frage zu formulieren, war ich kaum imstande, sie zu beantworten.
    Aber ich konnte weder vernünftig denken noch vernünftig fragen. Ich habe bereits erwähnt, daß ich gegen Ende dieses Tages »von den Ereignissen überwältigt« war; und nun saß ich da, und alles drehte sich chaotisch in meinem Kopf. “Ja, ich habe an ihm alles falsch gesehen und nichts begriffen”, ging es mir immer wieder flüchtig durch den Sinn. “Er hat mir vorhin ins Gesicht gelacht: Aber er meinte nicht mich; es ging ihm die ganze Zeit um Bjoring und nicht um mich. Vorgestern bei Tisch hat er bereits alles gewußt und war finster wie die Nacht. Er hat meine törichte Beichte im Gasthaus aufgegriffen und sie auf Kosten jeglicher Wahrheit entstellt, aber wozu brauchte er überhaupt Wahrheit? Er glaubt ja selbst kein halbes Wort von dem, was er ihr geschrieben hat. Ihm ging es nur darum, sie zu beleidigen, sinnlos zu beleidigen, sogar ohne selbst zu wissen warum, dafür brauchte er nur einen Vorwand, und diesen Vorwand habe ich ihm geliefert … Die Tat eines tollwütigen Hundes! Hat er jetzt etwa vor, Bjoring zu töten? Warum? Sein Herz wird schon wissen, warum! Und ich weiß nichts davon, was er im Herzen hat … Nein, nein, auch jetzt weiß ich es nicht. Ist es denn möglich, daß er sie bis zu einer solchen Leidenschaft liebt? Oder bis zu einer solchen Leidenschaft haßt? Ich weiß es nicht, und weiß er es selbst? Warum habe ich Mama gesagt, es kann ›ihm nichts zustoßen‹; was wollte ich damit sagen? Habe ich ihn nun verloren, oder habe ich ihn nicht verloren?”
    “… Sie hat gesehen, wie ich zurückgestoßen wurde … Hat sie auch gelacht, oder nicht? Ich hätte gelacht! Ein Spion wurde verprügelt, ein Spion! …”
    “Was hat es zu bedeuten” (fiel mir plötzlich ein), “was hat es zu bedeuten, daß er in diesem ekelhaften Brief das Dokument erwähnt hat, das keineswegs verbrannt sei, sondern immer noch existiere? …”
    “Er wird Bjoring nicht töten, er sitzt jetzt höchstwahrscheinlich im Restaurant und hört sich die ›Lucia‹ an! Allerdings, es wäre möglich, daß er nach der ›Lucia‹ aufsteht und Bjoring tötet. Bjoring hat mich zur Seite gestoßen, das ist ebensogut, wie wenn er mir einen Schlag versetzt hätte; hat er mir einen Schlag versetzt? Bjoring ist sich zu gut, sich selbst mit Werssilow zu duellieren, wie sollte er es mit mir tun? Vielleicht muß ich ihn morgen mit dem Revolver niederknallen, nachdem ich ihm auf der Straße aufgelauert habe …” Aber diesem Gedanken folgte ich völlig automatisch, ohne im geringsten dabei zu verweilen.
    Und dann kamen Minuten, in denen ich mir einbildete, die Tür würde sofort aufgehen, Katerina Nikolajewna eintreten, mir die Hand reichen, und wir würden beide lachen … Oh, mein lieber, lieber Student! Ich glaubte, das zu sehen, das heißt, ich wünschte es mir, als es im Zimmer schon völlig dunkel war. “Aber es ist doch nicht lange her, daß ich vor ihr stand, von ihr Abschied nahm und sie mir lachend die Hand reichte. Wie konnte es geschehen, daß in einer so kurzen Zeit eine so

Weitere Kostenlose Bücher