Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
aus gewissen Rücksichten Nachsicht geübt und Erkundigungen zu Ihrer Person eingezogen: Letztere ergaben, daß Sie zwar den besten Kreisen der Gesellschaft angehört haben und Gardeoffizier waren, heute aber von der Gesellschaft ausgestoßen sind und eine höchst zweifelhafte Reputation genießen! Aber auch dies hatte mich nicht gehindert, Sie aufzusuchen und mich persönlich zu unterrichten, und nun erlauben Sie sich zu allem übrigen auch noch Wortspiele und bekennen unaufgefordert, daß Sie unter Anfällen leiden. Das genügt! Die gesellschaftliche Stellung von Baron Bjoring und sein Ruf schließen jede weitere Nachsicht aus … Mit einem Wort, mein Herr, ich bin zu folgender Erklärung ermächtigt: Sollte Ihnen ab jetzt eine Widerholung einfallen oder dem jetzigen Benehmen Ähnliches, werden umgehend Mittel ergriffen, die Sie schnell und dauerhaft zur Ruhe bringen. Wir leben nicht im Wald, sondern in einem wohlgeordneten Staat!«
»Sind Sie sich dessen so sicher, mein guter Baron R.?«
»Donnerwetter«, der Baron stand plötzlich auf, »Sie provozieren mich, Ihnen auf der Stelle zu beweisen, daß ich keineswegs Ihr ›guter Baron R.‹ bin.«
»Ach, ich möchte Sie noch einmal darauf hinweisen«, Werssilow erhob sich ebenfalls, »daß sich meine Frau und meine Tochter in unserer Nähe befinden, und ich möchte Sie deshalb bitten, nicht gar so laut zu sprechen, weil Ihre Stimme bis zu ihnen dringt.«
»Ihre Frau … Donner … Wenn ich hier saß und mich mit Ihnen unterhielt, so nur mit dem Ziel, diese abscheuliche Geschichte zu klären«, fuhr der Baron unvermindert zornig und keineswegs leiser fort. »Genug!« brüllte er aufgebracht, »man hat Sie nicht nur aus dem Kreis anständiger Menschen ausgestoßen, sondern Sie sind auch ein Psychopath, ein echt verrückter Psychopath, und so sind Sie mir auch beschrieben worden! Sie sind keiner Nachsicht würdig, und ich tue Ihnen kund, daß heute noch Maßnahmen gegen Sie ergriffen werden und Sie an einen solchen Ort kommen, wo man es versteht, Sie wieder zur Räson zu bringen … und Sie aus der Stadt zu entfernen!«
Mit großen und schnellen Schritten verließ er das Zimmer. Werssilow begleitete ihn nicht. Er stand immer noch da, sah mich zerstreut an, offensichtlich ohne mich zu bemerken; plötzlich lächelte er, warf das Haar zurück, nahm seinen Hut und ging ebenfalls zur Tür. Ich packte ihn bei der Hand.
»Ach ja, du bist hier? Du … hast gehört?« Mit diesen Worten blieb er vor mir stehen.
»Wie konnten Sie so etwas tun? Wie konnten Sie alles so verzerren, so in den Schmutz ziehen! … Mit solcher Tücke!«
Er sah mich aufmerksam an, aber sein Lächeln wurde immer breiter und ging in ein richtiges Gelächter über.
»Aber ich bin doch blamiert … in ihrer Gegenwart! Vor ihren Augen! Ich bin vor ihren Augen verhöhnt worden, und er … er hat mir einen Stoß versetzt!« rief ich außer mir.
»Wirklich? Ach, armer kleiner Junge, du tust mir so leid … Man hat dich dort so-o ver-höh-nt!«
»Sie spotten, Sie machen sich über mich lustig! Sie finden das lustig!«
Er riß schnell seine Hand aus meiner Umklammerung, setzte den Hut auf und ging lachend, nun wirklich lachend, aus der Wohnung. Sollte ich ihm etwa nachlaufen, wozu? Ich habe alles verstanden und – in einem einzigen Augenblick alles verloren! Plötzlich sah ich Mama; sie war von oben heruntergekommen und sah sich scheu um.
»Ist er fort?«
Ich nahm sie schweigend in die Arme, sie umarmte mich ebenfalls fest, ganz fest und schmiegte sich an mich.
»Mama, meine Liebe, ist es Ihnen denn möglich hierzubleiben? Wir wollen sogleich fortgehen, ich werde für Sie sorgen, ich werde für Sie wie ein Sträfling arbeiten, für Sie und für Lisa … Wir wollen sie alle, alle verlassen und fortgehen. Wir wollen für uns sein. Mama, erinnern Sie sich, wie Sie mich bei Touchard besucht haben und wie ich Sie verleugnete?«
»Ich erinnere mich, mein Kind, ich bin vor dir mein ganzes Leben lang schuldig, ich habe dich geboren, aber ich habe mich nicht um dich gekümmert.«
»Er ist schuld, Mama, er ist an allem schuld; er hat uns nie geliebt.«
»Nein, er hat uns geliebt.«
»Lassen Sie uns fortgehen, Mama.«
»Wohin soll ich denn von ihm gehen, ist er etwa glücklich?«
»Wo ist Lisa?«
»Hat sich hingelegt; sie kam heim – und ging gleich zu Bett; ich fürchte mich. Wie ist es, sind sie ihm dort sehr böse? Was werden sie jetzt mit ihm machen? Wohin ist er denn gegangen? Warum
Weitere Kostenlose Bücher