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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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hatte, mir nicht mit einer Silbe zu verstehen gab, daß sie meine Mutter sei. Nun saß sie neben mir, und ich erinnere mich, wie ich mich wunderte, daß sie so wenig sprach. Sie hatte ein Bündelchen dabei, das sie nach eine Weile aufknotete: Es enthielt sechs Apfelsinen, einige Lebkuchen und zwei gewöhnliche Franzbrote. Ich fühlte mich durch die Franzbrote gekränkt und bemerkte pikiert, daß hier bei uns das »Essen« sehr gut sei und daß wir jeden Tag zum Tee ein ganzes Franzbrot bekämen.
    »Das macht nichts, mein Junge. Ich habe doch, unwissend, wie ich bin, gedacht: ‘Vielleicht bekommen sie dort in ihrer Schule schlecht zu essen.’ Nichts für ungut, mein Lieber.«
    »Und Antonina Wassiljewna (Touchards Ehefrau) würde sich so was zu Herzen nehmen. Und die Schulkameraden werden mich auslachen …«
    »Wenn du es nicht haben willst, kannst du es ja gleich aufessen.«
    »Meinetwegen, Sie können es hierlassen.«
    Ich rührte die Gaben nicht einmal an; Apfelsinen und Lebkuchen lagen vor mir auf dem Tischchen, und ich saß da mit niedergeschlagenen Augen, aber mit dem unübersehbaren Ausdruck eigener Würde. Wer weiß, vielleicht hatte ich auch den ausgesprochenen Wunsch, deutlich zu zeigen, daß ihr Besuch mich vor den Mitschülern sogar in Verlegenheit brachte; ihr es wenigstens anzudeuten, damit sie begriffe: “So, da siehst du, daß du mich blamierst und es nicht einmal einsiehst.” Oh, ich war schon damals soweit, mit der Kleiderbürste Touchard nachzulaufen, um das kleinste Stäubchen zu entfernen! Ich stellte mir auch vor, wieviel Spott ich von den Jungen ertragen müßte, sobald sie gegangen wäre, vielleicht auch von Touchard persönlich, und nicht der Hauch eines guten Gefühls für sie in meinem Herzen blieb. Nur heimlich streifte ich mit dem Blick ihr dunkles, abgetragenes Kleid, ihre derben, ziemlich verarbeiteten Hände, ihr ganz derbes Schuhwerk und ihr stark abgemagertes Gesicht; die ersten Fältchen zeigten sich bereits auf ihrer Stirn, obwohl Antonina Wassiljewna mir später, abends, nachdem sie gegangen war, sagte: »Ihre maman muß einmal nicht übel ausgesehen haben.«
    Wir saßen also da, als plötzlich Agafja mit einem Tablett hereinkam, auf dem eine Tasse Kaffee stand. Es war Nachmittag, und die Touchards pflegten um diese Stunde in ihrem Salon Kaffee zu trinken. Aber Mama dankte und nahm die Tasse nicht an: Wie ich später hörte, trank sie damals überhaupt keinen Kaffee, weil er ihr starkes Herzklopfen verursachte. Es war nämlich so, daß die Touchards im stillen ihren Besuch und die Erlaubnis, mich zu sehen, für ein außerordentliches Entgegenkommen hielten, so daß die Tasse Kaffee, die sie meiner Mutter schickten, in ihren Augen einen großen Akt der Humanität darstellte, die ihr zivilisiertes Gefühl und ihre europäischen Begriffe auf das glorreichste bestätigte. Und ausgerechnet darauf hat Mama verzichtet.
    Touchard ließ mich rufen und befahl, meine Hefte und Bücher zu holen, um sie Mama zu zeigen: »Damit sie sieht, welche Fortschritte Sie in meiner Anstalt gemacht haben.« Da schürzte Antonina Wassiljewna die Lippen und fügte beleidigt und spöttisch hinzu:
    »Ich glaube, unser Kaffee hat Ihrer maman nicht gemundet.«
    Ich suchte meine Hefte und trug sie zu meiner wartenden Mutter, vorbei an den »Grafen- und Senatorenkindern«, die sich im Klassenzimmer drängten, um uns, meine Mutter und mich, anzugaffen. Und da, auf einmal, bekam ich Lust, Touchards Befehl buchstabengetreu auszuführen. Ich schlug methodisch meine Hefte auf und erklärte: »Das hier – Lektionen in französischer Grammatik, das hier Übungen nach Diktat, das hier die Konjugation der Hilfsverben avoir und être, und das hier Eintragungen aus dem Geographieunterricht, Beschreibung der Hauptstädte Europas und aller Teile der Welt«, und so fort, und so fort. Ich habe über eine halbe Stunde meine Erklärungen fortgesetzt, mit einer gleichmäßigen Kinderstimme und züchtig gesenkten Augen. Ich wußte, daß Mama von allen Fächern nichts versteht, vielleicht nicht einmal schreiben kann, aber gerade deshalb fand ich großen Gefallen an meiner Rolle. Aber es gelang mir nicht, sie zu ermüden – sie hörte immer weiter zu, ohne mich zu unterbrechen, mit höchster Aufmerksamkeit und sogar mit Ehrfurcht, so daß ich mich schließlich selbst langweilte und aufhörte; ihr Blick war übrigens traurig und ihre Miene irgendwie leidend.
    Endlich erhob sie sich, um zu gehen; plötzlich kam Touchard

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