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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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haben mich erniedrigt, also will ich mich selbst noch weiter erniedrigen, hier, schauen Sie, genießen Sie das Bild!” Touchard hat mich geprügelt und wollte damit beweisen, daß ich ein Lakai und nicht der Sohn eines Senators sei, und ich habe mich umgehend mit der Rolle eines Lakaien identifiziert. Ich ging ihm nicht nur beim Ankleiden zur Hand, sondern ich ergriff die Kleiderbürste und begann, die letzten Staubkörnchen von ihm zu entfernen, ohne überhaupt auf seine Bitten oder Befehle zu achten, ich rannte mit der Kleiderbürste hinter ihm her, um noch eine winzige Fluse von seinem Frack verschwinden zu lassen, so daß er selber mich gelegentlich zurückhielt: »Es reicht, es reicht, Arkadij, es reicht.« Wenn er nach Hause kam, legte er die Oberkleider ab – und ich bürstete sie aus, faltete sie behutsam zusammen und breitete ein kariertes Seidentuch darüber. Ich wußte, daß meine Schulkameraden sich über mich lustig machten und mich deswegen verachteten, ich wußte es felsenfest, aber gerade das war mir recht: “Wenn man wünscht, daß ich den Lakaien spiele, bin ich bereit, Lakai zu sein, und wenn ich ein Knecht sein soll – dann bin ich eben ein Knecht.” Passiven Haß und Aggressivität aus dem Kellerloch – diese Art konnte ich jahrelang fortsetzen. Und nun? Bei Serschtschikow brüllte ich so laut, daß es durch den Saal hallte, völlig außer mir: »Ich werde Sie alle anzeigen, Roulettespiel ist polizeilich verboten!« Und ich schwöre, daß auch hier etwas gleichsam Analoges vorlag: Man hat mich erniedrigt, einer Leibesvisitation unterzogen, zu einem Dieb erklärt, mich umgebracht – “dann sollen Sie auch wissen, daß sie ins Schwarze getroffen haben, ich bin nicht nur ein Dieb, sondern ich bin auch ein Denunziant!” Wenn ich mich jetzt daran erinnere, komme ich zu ebendiesem Schluß und ebendieser Erklärung; damals war mir keineswegs nach Analyse zumute; ich schrie ohne Absicht, sogar ohne eine Sekunde vorher zu ahnen, daß ich so brüllen würde: Es schrie von selbst – das war eben der sonderbare Zug in meiner Seele.
    Damals, als ich so dahinrannte, hatte zweifellos das Delirium schon begonnen, aber ich erinnere mich genau, daß ich bewußt handelte. Indessen kann ich mit Bestimmtheit behaupten, daß ein ganzer Zyklus von Ideen und Folgerungen für mich damals schon ausgeschlossen war; ich empfand in jenen Minuten sogar, daß “ich gewisse Gedanken sehr wohl habe, während ich andere auf keinen Fall mehr haben kann”. Ebenso konnten meine Entschlüsse, obwohl bei klarem Bewußtsein gefaßt, jeglicher Logik entbehren. Mehr noch, ich erinnere mich sehr gut, daß ich in manchen Augenblicken das Absurde eines gefaßten Entschlusses einsehen, aber gleichzeitig mit vollem Bewußtsein mit seiner Ausführung beginnen konnte. Jawohl, die Konturen eines Verbrechens haben sich in jener Nacht abgezeichnet und nur rein zufällig nicht verwirklicht.
    Plötzlich tauchte in mir die böse Bemerkung Tatjana Pawlownas von damals über Werssilow auf: »Es wäre doch besser, nachts auf die Nikolajewsker Strecke zu gehen und den Kopf auf die Schienen zu legen, dann wäre er ihn wenigstens los.« Dieser Gedanke beherrschte einen Augenblick all meine Gefühle, aber ich verjagte ihn, im selben Augenblick schmerzlich getroffen: “Den Kopf auf die Schienen legen und sterben, aber am nächsten Tag heißt es: Er tat es, weil er gestohlen hat, er tat es, weil er sich schämte, er tat es vor lauter Scham – nein, um nichts auf der Welt!” Und eben in diesem Moment fühlte ich plötzlich, ich erinnere mich genau, ein Aufwallen furchtbaren Zorns. “Was soll’s?” ging es mir durch den Kopf. “Ist es nun unmöglich, sich zu rechtfertigen, ein neues Leben zu beginnen ist ebenso unmöglich, und deshalb bleibt nur eins – sich unterwerfen, ein Lakai, ein Hofhund, eine Laus, ein Denunziant, ein wirklicher Denunziant werden und sich in aller Heimlichkeit dazu vorbereiten, irgendwann – alles plötzlich in die Luft jagen, alles vernichten, alle, Schuldige und Unschuldige, und alle erkennen plötzlich – es ist derselbe, den man einen Dieb genannt hatte … und dann sich selbst töten.”
    Ich erinnere mich nicht, wie ich in eine Gasse, irgendwo in der Nähe des Konnogwardejskij-Boulevard, geraten bin. In dieser Gasse zogen sich zu beiden Seiten, fast über hundert Schritt, hohe Steinmauern hin – die Zäune der Hinterhöfe. Hinter der Mauer links sah ich einen riesigen Stapel Brennholz, einen sehr

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