Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
so, als wunderte und fürchtete ich mich. Er ließ mich eine Weile glotzen und fragte dann: ›Nun, Alter, was sagst du jetzt?‹ Ich aber verneigte mich und antwortete: ›Und Gott sprach: ‘Es werde Licht!’ Und es ward Licht.‹ Er aber sagte mir darauf plötzlich: ›Und ward nicht auch Finsternis?‹ Und so komisch sagte er das, sogar ohne zu lächeln. Ich wunderte mich damals über ihn, er aber schien sogar auf einmal unwillig und verstummte.«
»Na ja, ganz einfach, Ihr Pjotr Valerianytsch ißt im Kloster seine Kutja und verneigt sich vorschriftsmäßig, aber er glaubt nicht an Gott, und da sind Sie ihm über den Weg gelaufen – das ist alles«, sagte ich, »und außerdem ist er ein ziemlich komischer Mensch. Er wird doch bestimmt schon dutzendmal ein Mikroskop gesehen haben, warum gerät er beim dreizehnten Mal so durcheinander? Übermäßige Sensibilität? Die hat er sich im Kloster zugelegt.«
»Ein reiner Mensch ist er und von hohem Verstand«, sagte der alte Mann eindringlich, »und kein Gottloser. An Verstand hat er eine Fülle in sich, aber sein Herz ist unruhig. Solche Menschen gibt es jetzt immer öfter unter den Herrschaften und im gelehrten Stand. Und etwas will ich noch sagen: Der Mensch straft sich selbst. Und du solltest solchen Menschen aus dem Wege gehen und ihnen kein Ärgernis sein und vor dem Einschlafen ihrer im Gebet gedenken, denn gerade solche suchen Gott. Betest du auch vor dem Einschlafen?«
»Nein, das halte ich für eine leere Form. Ich muß Ihnen übrigens gestehen, daß Ihr Pjotr Valerianowitsch mir gut gefällt: Er ist wenigstens kein Heusack, sondern immerhin ein Mensch, der eine Ähnlichkeit mit einem uns beiden Verwandten hat, den wir beide kennen.«
Der alte Mann ging nur auf den ersten Satz meiner Antwort ein: »Bedauerlich ist es, Freund, daß du nicht betest; das tut gut, das macht das Herz froh, ob vor dem Einschlafen, ob beim Aufstehen, ob beim Aufwachen mitten in der Nacht. Das will ich dir sagen. In diesem Sommer, im Monat Juli, waren wir unterwegs zum Bogorodskij-Kloster, um dort einen Festtag zu begehen. Je näher wir dem Ort kamen, desto mehr Pilger schlossen sich uns an, und am Ende waren wir an die zweihundert, die alle dorthin eilten, um die heiligen und heilkräftigen Reliquien der beiden großen Wundertäter Anikij und Grigorij zu verehren. Zur Nacht waren wir auf dem freien Feld geblieben. Und als ich frühmorgens aufwachte, schliefen noch alle, sogar die Sonne sah noch nicht hinter dem Wald hervor. Da neigte ich, mein Lieber, das Haupt, ließ den Blick ringsum schweifen und seufzte: Die Schönheit überall war unaussprechlich. Überall Stille, die Luft leicht; ein Grashalm sprießt – sprieße weiter, Grashalm Gottes, ein Vöglein zwitschert – zwitschere weiter, Vöglein Gottes, ein Kindlein meldet sich in den Armen seiner Mutter – Gott segne dich, kleines Menschlein, wachse glücklich auf, Kindlein! Und damals war es, als hätte ich zum ersten Mal in meinem Leben dies alles in mich aufgenommen … Ich legte mich abermals nieder und schlummerte mit leichtem Herzen ein. Es ist gut, auf der Welt zu sein, mein Lieber! Ich möchte am liebsten, wenn es mir bessergeht, im Frühling wieder auf Pilgerschaft gehen. Und daß alles ein Geheimnis ist, ist sogar besser; es macht das Herz bange und läßt es staunen; diese Bangigkeit gereicht dem Herzen zur Freude: ›Alles ist in Dir, Herr, und auch ich bin in Dir. Also nimm mich auf!‹ Hadere nicht, junger Mensch: Es ist um so herrlicher, daß es ein Geheimnis ist«, fügte er ergriffen hinzu.
»›Es ist um so herrlicher, daß es ein Geheimnis ist‹ … das werde ich mir merken, diese Worte. Sie drücken sich furchtbar ungenau aus, aber ich verstehe Sie … Ich bin überrascht, daß Sie viel mehr wissen und verstehen, als Sie ausdrücken können; aber Sie scheinen Fieber zu haben …«, entfuhr es mir, als ich seine fiebrig glänzenden Augen und sein kreideweißes Gesicht sah. Aber er schien meine Worte gar nicht zu hören.
»Weißt du was, lieber Jünglink«, begann er von neuem, als wollte er seine vorige Rede fortsetzen, »weißt du auch, daß dem Gedenken an einen Menschen auf dieser Erde eine Grenze gesetzt ist? Dem Gedenken an einen Menschen ist eine Grenze von nur hundert Jahren gesetzt. Hundert Jahre nach seinem Tod können sich seine Kinder noch seiner erinnern oder seine Enkel, die sein Gesicht noch gesehen haben, dann mag die Erinnerung an ihn noch länger währen, aber nur die
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