Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
daß ich ihm mit meinem Erscheinen eine außerordentlich große Freude bereitet hatte. Sein Mitteilungsdrang war krankhaft. Außerdem war ebensowenig zu übersehen, daß er mich minutenlang mit einer irgendwie ungewöhnlichen Liebe betrachtete: Er legte zärtlich seine flache Hand auf meine Hand und streichelte meine Schulter … aber minutenlang, ich gebe es zu, schien er mich zu vergessen, als säße er allein da, auch wenn er mit großem Eifer weitersprach, gleichsam in die Luft hinaus.
»Es lebt«, fuhr er fort, »in der Gennadijschen Einsiedelei ein Mann von ganz großem Verstand. Ist von vornehmer Herkunft, im Range eines Oberstleutnants, und hat ein großes Vermögen. Solange er noch in der Welt lebte, wollte er die Pflichten der Ehe nicht auf sich nehmen; und er hat sich schon vor zehn Jahren von der Welt zurückgezogen und sein Herz an stille, schweigende Zufluchtsorte gehängt und seine Gefühle von dem eitlen, weltlichen Treiben abgewandt. Hält sich genau an die Klosterordnung, will aber das Mönchsgelübde nicht ablegen. Und Bücher, mein Freund, hat er so viele, wie ich noch nie und nirgends auf einem Haufen gesehen habe – er hat es mir selbst gesagt, für gut achttausend Rubel. In vielem hat er mich zu verschiedenen Zeiten unterwiesen, und ich hab ihm fürs Leben gern zugehört. Und da sagte ich einmal zu ihm: ›Wie kommt es, gnädiger Herr, daß Sie bei Ihrem übergroßen Verstande, wo Sie nun über zehn Jahre nach der Klosterregel leben und sich in der Abtötung des Eigenwillens üben – wie kommt’s, daß Sie das Gelübde nicht ablegen, um eine größere Vollkommenheit zu erlangen?‹ Und er darauf: ›Was redest du, Alter, von meinem Verstand; vielleicht ist es gerade mein Verstand, der mich gefangenhält und den ich nicht gezähmt habe? Was redest du von meinem klösterlichen Gehorsam: Vielleicht habe ich schon längst das Maß überschritten. Und auch von der Abtötung meines Eigenwillens? Ich könnte in dieser selben Stunde auf mein Geld verzichten, meinen Offiziersrang und sämtliche Orden und Ehrenzeichen hier auf den Tisch legen, aber auf meine Pfeife Tabak kann ich eben nicht verzichten, seit zehn Jahren schon kämpfe ich darum und kann es immer noch nicht lassen. Was wäre ich für ein Mönch, und wie kannst du mir von der Abtötung des Eigenwillens sprechen?‹ Und ich staunte damals über so viel Demut. Und nun, im letzten Sommer, an Peter und Paul, suchte ich wieder jene Einsiedelei auf – dem Herrn hat es so gefallen, und sehe, in seiner Zelle steht ebenjenes Ding – das Mikroskop –, er hatte es für teures Geld aus dem Ausland kommen lassen. ›Paß auf, Alter‹, sagt er, ›ich will dir etwas Erstaunliches zeigen. Du hast so etwas dein Lebtag noch nicht gesehen. Siehst du hier den Wassertropfen? Rein wie eine Träne, aber schau hier, was darin ist, und du wirst sehen, daß die Mechaniker bald allen Geheimnissen Gottes auf die Spur kommen und nicht ein einziges für uns beide übriglassen werden.‹ So sagte er, ich habs behalten. Ich aber hatte dieses Mikroskop schon fünfunddreißig Jahre vorher gesehen, bei Alexander Wladimirowitsch Malgassow, unserm Herrn, dem Onkel Andrej Petrowitschs mütterlicherseits, dessen Erbe später, nach seinem Tode, auf Andrej Petrowitsch überging. Er war ein großer Herr, ein hoher General und hielt eine große Meute Jagdhunde, damals hab ich viele Jahre als Jagdknecht bei ihm gedient. Und da hatte er auch so ein Mikroskop aufgestellt, das hatte er auch aus dem Ausland mitgebracht, und dem ganzen Hofgesinde befohlen, einem nach dem anderen, sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts, zu gucken, man zeigte uns auch einen Floh und eine Laus und eine Nadelspitze und ein Härchen und einen Wassertropfen. Es war zum Totlachen: Sie fürchteten sich, vors Mikroskop zu treten, aber vor dem Herrn fürchteten sie sich auch, der war arg jähzornig. Die einen wissen nicht, wie man guckt, und kneifen die Augen zusammen und sehen gar nichts; die anderen haben Angst und schreien; und der Dorfälteste, Sawin Makarow, schlägt beide Hände vors Gesicht und jammert: ›Macht mit mir, was ihr wollt, ich geh nicht hin!‹ Um nichts und wieder nichts wurde da viel gelacht. Pjotr Valerianytsch habe ich es allerdings nicht gestanden, daß ich schon früher, vor über fünfunddreißig Jahren, dieses selbige Wunder schon gesehen hatte, weil ich merkte, daß es dem Menschen großen Spaß machte, es mir vorzuführen, und da tat ich, ganz im Gegenteil,
Weitere Kostenlose Bücher