Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
›wieviel er bekommen soll, mit dem hiesigen Volk geht es nicht anders. Das Volk hier hat lockere Sitten; wäre ich nicht da, würden sie hier alle vor Hunger verrecken, so viele, wie viele ihrer auch sind. Und dann muß es einmal gesagt werden, das hiesige Volk ist ein Dieb, sobald der was sieht, er’s mit der Hand in den Sack zieht, von Mannhaftigkeit keine Spur. Und dann muß auch gesagt werden, daß es ein Säufer ist; zahlt man so einen aus – trägt er’s in die Schenke und sitzt in der Schenke nackt da – keinen Faden mehr am Leib, und kommt nackend und bloß hinaus. Und dann muß gesagt werden – es ist auch ein Schuft: Da setzt er sich gegenüber der Schenke auf einen Stein und stimmt ein Klagelied an: ‘Meine Mutter, die du mich geboren hast, warum hast du mich als Trunkenbold in die Welt gesetzt? Hättest du mich, den elenden Säufer, doch bei der Geburt erdrückt!’ Ist denn so was ein Mensch? Ein Tier ist das, aber kein Mensch; man muß ihm zuerst Menschengestalt beibringen und ihm erst dann Geld geben. Ich weiß schon, wann man es ihm geben muß.‹
    So sprach Maxim Iwanowitsch über die Leute von Afimjew; und wenn er auch Schlimmes sprach, so war es doch die Wahrheit: Das Volk war weichlich und hielt nicht durch.
    Es hatte in dieser Stadt noch ein anderer Kaufmann gelebt, der aber inzwischen das Zeitliche gesegnet hatte; er war jung und leichtsinnig gewesen, hatte Pleite gemacht und war sein ganzes Kapital losgeworden. Im letzten Jahr zappelte er wie ein Fisch auf dem Trockenen, aber seine Stunde hatte geschlagen. Mit Maxim Iwanowitsch hat er die letzte Zeit nicht in Frieden gelebt und war bei ihm bis über die Ohren verschuldet. Und noch in seiner letzten Stunde hat er Maxim Iwanowitsch verflucht. Er hinterließ eine Witwe, noch jung, und mit ihr fünf Kinder. Und eine alleinstehende Witwe bleibt nach dem Tod ihres Gatten eine Schwalbe ohne Nest und hat keine geringe Prüfung durchzustehen, wie aber erst mit fünf kleinen Kindern, die die Mutter zu ernähren hat, aber nicht weiß, womit: Ihren letzten Besitz, das Holzhaus, wollte ihr Maxim Iwanowitsch für die Schulden wegnehmen. Und da stellte sie die Kleinen, alle in einer Reihe, in der Kirchenvorhalle auf; der älteste Junge war acht, alle anderen waren Mädchen, die Jahr für Jahr zur Welt gekommen waren, eine kleiner als die andere; die Älteste war vier Jährchen alt, die Jüngste, noch im Arm, wurde gestillt. Der Mittagsgottesdienst ging zu Ende, Maxim Iwanowitsch trat heraus, und alle Kinderchen, eins neben dem anderen, knieten sich vor ihm hin – das hatte sie denen vorher beigebracht, und sie selbst, den Säugling im Arm, verneigte sich angesichts aller Leute vor ihm bis zur Erde: ›Väterchen Maxim Iwanowitsch, erbarme dich der Waisen, nimm ihnen nicht den letzten Bissen, vertreib sie nicht aus dem heimatlichen Nest!‹ Und allen, die dabeistanden, kamen die Tränen, so gut hatte sie es ihnen beigebracht. Sie dachte: ‘Vor den Leuten wird er seinen Stolz bewahren wollen, er wird die Schulden erlassen und das Haus den Waisen zurückgeben’, aber es sollte ganz anders kommen. Maxim Iwanowitsch blieb stehen: ›Du‹, sagte er, ›du bist eine junge Witwe, du willst einen Mann und weinst nicht der Waisen wegen. Der Tote hat mir noch auf dem Sterbebett geflucht‹ – damit ging er weiter und gab das Haus nicht zurück. ›Weshalb soll man ihren Possen willfahren (das heißt, mit ihnen Nachsicht üben)? Erweist man ihnen eine Wohltat, dann reißen sie das Maul nur noch weiter auf; das führt zu nichts Gutem, das gibt nur noch mehr Klatsch.‹ Und geklatscht wurde schon in der Tat, er hätte zu dieser Witwe, als sie noch Jungfrau war, Vermittler geschickt und viel Kapital geboten (sie war über die Maßen schön), ohne zu denken, daß dies Sünde ist und ein und dasselbe, wie wenn man einen Tempel Gottes zerstört; aber damals hat er gar nichts erreicht. Solche Abscheulichkeiten beging er nicht wenige, sowohl in der Stadt als auch im ganzen Gouvernement, und verlor darin sogar jegliches Maß.
    Da wehklagte die Mutter mit ihren Küken, er jagte die Waisen aus dem Haus, und nicht bloß aus Bosheit, sondern weil der Mensch selbst nicht weiß, aus welchem Grund er auf seinem Willen beharrt. Nun, zuerst haben ihr die Nachbarn geholfen, dann aber suchte sie Arbeit. Aber was gibt es bei uns für Arbeit, außer in der Fabrik; hier hatte sie die Böden geschrubbt, dort im Garten gejätet, anderswo die Badestube geheizt, und das alles mit

Weitere Kostenlose Bücher