Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
dem kleinen Kind im Arm, und die Tränen fließen nur so; und die vier anderen spielen auf der Straße in bloßen Hemdchen. Als sie die Kinder vor der Kirchenvorhalle knien ließ, da hatten sie noch ihre Schühchen an, wie die auch waren, und ihre Mäntelchen, es waren ja Kaufmannskinder; aber nun mußten sie barfuß herumlaufen: Die Kinderkleider halten ja nicht lange, das ist bekannt. Nun, den Kindern macht das nichts aus: Sie brauchen nur Sonnenschein, freuen sich, ahnen das Verderben nicht, wie die Vögelchen, und ihre Stimmen klingen wie Glöckchen. Und da denkt die Witwe: ‘Der Winter kommt, wohin dann mit euch; wenn es doch Gott gefallen möchte, euch bis dahin zu sich zu holen!’ Aber sie brauchte auf den Winter nicht zu warten. Es gibt in unserem Ort einen Husten unter den Kindern, Keuchhusten genannt, der von einem auf den anderen übergeht. Als allererste starb die Kleinste, die noch gestillt wurde, und im selben Herbst trug sie einen nach dem anderen auf den Friedhof. Eine freilich ist auf der Straße unter die Pferde gekommen. Und was denkst du? Sie hat sie begraben und ist in Tränen ausgebrochen; einmal hat sie die Kinder verwünscht, aber als Gott die Kleinen zu sich nahm, gingen ihr die Augen über. So ist das Herz einer Mutter!
Nur eines ist am Leben geblieben, ihr Ältester, ein Knäblein, und um das bangte sie, zitterte. Es war schwach und zart und hatte ein liebliches Gesicht, wie ein Mädchen. Und sie brachte es in die Fabrik, zu seinem Taufpaten, dem dortigen Verwalter, und nahm selbst eine Stellung als Kinderfrau an, bei einem Beamten. Und nun läuft der Junge einmal über den Hof, und plötzlich kommt zweispännig Maxim Iwanowitsch angefahren und hatte ausgerechnet eins über den Durst getrunken; der Junge springt von der Treppe hinunter und gerade, das heißt unversehens, auf ihn zu, rutscht aus und rennt ihn an, gerade, als er aus der Kutsche steigt, und auch noch mit beiden Händen gerade gegen seinen Leib. Der packt ihn am Schopf und brüllt: ›Wem gehört der? Ruten! Peitschen, sofort, in meiner Gegenwart.‹ Der Junge wird totenblaß, man peitscht ihn, und er schreit. ›Ah, du schreist auch noch? Peitschen, bis er aufhört zu schreien!‹ Ob sie nun viel oder ob sie wenig gepeitscht haben, er hörte nicht auf zu schreien, bis er wie tot dalag. Da peitschten sie nicht länger, erschraken, der Junge atmete nicht und lag bewußtlos da. Später sagten sie, sie hätten ihn gar nicht so stark gepeitscht, aber der Junge war sehr schreckhaft. Auch Maxim Iwanowitsch war zunächst erschrocken: ›Wem gehört der?‹ fragte er; man sagte es ihm. ›Sieh mal an! Bringt ihn zu seiner Mutter; was hat er hier in der Fabrik zu suchen?‹ Zwei Tage darauf schwieg er, aber dann fragte er wieder: ›Was macht der Knabe?‹ Dem Knaben aber ging es schlecht. Er wurde krank, lag bei seiner Mutter in der Ecke, die hatte deswegen auch ihre Stelle bei dem Beamten aufgegeben, und dann kam eine Entzündung in der Lunge. ›Na, so was!‹ sagte er. ›Von was denn, fragt man sich? Wenn man ihn doch wenigstens schmerzhaft gepeitscht hätte: Aber er hat nur einen ganz leichten Denkzettel gekriegt. Ich habe über viele andere genau solche Prügel verhängt, und es ist ohne solche Dummheiten ausgegangen.‹ Er wartete nur darauf, daß die Mutter des Kleinen Klage erhob, und verstummte aus Stolz; aber wie wollte sie ihn bloß verklagen, das wagte sie ja gar nicht. Da schickte er ihr fünfzehn Rubel und auch einen Arzt; nicht, weil er es mit der Angst zu tun bekam, sondern einfach so, vor lauter Gedanken. Und bald war es mit ihm wieder soweit, und er trank gut drei Wochen lang.
Der Winter ging vorüber, und gerade am heiligen Auferstehungstag Christi, just an dem Großen Sonntag, erkundigt sich Maxim Iwanowitsch wieder: ›Was macht jener Knabe?‹ Den ganzen Winter über hatte er geschwiegen und nicht nach ihm gefragt. Darauf sagt man ihm: ›Er ist wieder gesund, ist bei seiner Mutter, und die arbeitet immer wieder als Tagelöhnerin.‹ Da fuhr Maxim Iwanowitsch desselben Tags zu der Witwe, das Haus betrat er nicht, rief sie heraus vor das Tor und blieb selbst in seiner Droschke sitzen: ›Die Sache ist so‹, sagte er, ›ehrbare Witwe, ich will deinem Sohn der wahre Wohltäter sein und ihm grenzenlose Gunst erweisen: Ich nehme ihn von hier weg zu mir in mein eigenes Haus. Und wenn er mir auch nur ein wenig wohlgefällig ist, so werde ich ihm ein hinreichendes Kapital vermachen; und wenn er mir ganz und gar
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