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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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vorbei; auf der anderen Seite Läden, der Platz und eine Kirche, die mit ihren goldenen Kuppeln leuchtet. Und gerade da eilte mit ihrer Tochter die Frau Oberst Fersing zur Fähre – in der Stadt lag ein Infanterieregiment. Die Tochter, auch achtjährig, kommt in einem weißen Kleidchen daher, schaut den Knaben an und lacht, und in der Hand trägt sie so ein kleines Bauernkörbchen aus Bast, und in dem Körbchen ist ein kleiner Igel.
    ›Sehen Sie, Mama‹, sagt sie, ›wie der Junge meinen Igel ansieht.‹ – ›Nein‹, sagt die Frau Oberst, ›er fürchtet sich. – Wovor fürchten Sie sich, mein hübsches Kind?‹ (So wurde es später erzählt.) ›Und was ist das für ein hübscher Knabe? Und wie gut angezogen; wem gehören Sie, Junge?‹ Er aber hat noch nie einen kleinen Igel gesehen, tritt näher und schaut und hat schon alles vergessen – eben wie Kinder! ›Was ist das‹, fragt er, ›was Sie da haben?‹ – ›Das ist‹, antwortet das Fräulein, ›das ist unser Igelchen, wir haben es vorhin bei einem Dorfbauern gekauft: Und der hat ihn im Wald gefunden.‹ – ›Wie ist das‹, fragt er, ›so ein Igelchen?‹ und lacht schon und tippt ihn mit seinem Fingerchen an, und der Igel stellt die Stacheln auf, und das Mädchen freut sich über den Jungen: ›Wir tragen ihn gerade nach Hause und wollen ihn dressieren.‹ – ›Ach‹, sagt er, ›schenken Sie mir doch Ihren Igel!‹ Und er hat sie so rührend gebeten, aber kaum hat er das ausgesprochen, da kam schon plötzlich Maxim Iwanowitschs Stimme von oben: ›Ah! Da bist du! Haltet ihn!‹ (In seiner tierischen Wut war er ihm persönlich ohne Mütze nachgerannt.) Dem Knaben fiel sofort alles wieder ein, er schrie auf, stürzte ans Wasser, preßte die Fäustchen links und rechts an die Brust, warf einen Blick zum Himmel (alle sahen es, alle sahen es!) und – ins Wasser! Ja, alle schrien, man sprang von der Fähre hinzu, wollte ihn packen, aber das Wasser trug ihn fort, die Strömung war schnell, und als man ihn herauszog, war er schon tot – ertrunken. Er war ja schwach auf der Brust, konnte dem Wasser nicht standhalten, und auch weniges wäre für ihn genug gewesen. Und seit Menschengedenken hatte es das dort nicht gegeben, daß ein so kleines Kindlein seinem Leben ein Ende bereitet hätte! So eine Sünde! Und was kann ein so junges Seelchen im Jenseits Gott dem Herrn schon sagen!
    Und eben darüber grübelte seit jener Zeit Maxim Iwanowitsch. Der Mann veränderte sich so, daß man ihn kaum erkannte. Schon damals merkte man ihm an, daß er über die Maßen betrübt war. Er fing an zu trinken, hat lange getrunken und es wieder seinlassen – es half nichts. Er fuhr nicht mehr in die Fabrik und hörte auf keinen Rat. Man sprach ihn an – er schwieg oder winkte ab. So blieb es an die zwei Monate, und dann begann er, mit sich selbst zu reden. Ging umher und sprach mit sich selbst. Es brannte in dem stadtnahen Dörfchen Wasskowa, neun Häuser brannten nieder; Maxim Iwanowitsch fuhr hin, um sich die Brandstätte anzusehen. Die Abgebrannten scharten sich um ihn, heulten und klagten – da hatte er versprochen zu helfen und schon den Befehl dazu gegeben, rief aber später den Verwalter zu sich und machte alles rückgängig: ›Nicht nötig‹, sagt er, ›etwas zu geben‹, sagte aber nicht, warum. ›Zum Zermalmen der Menschen hat Gott mich bestimmt‹, sagt er, ›und wenn ich schon ein Unmensch sein soll, so soll es denn auch so sein. Wie der Wind hat sich mein Ruf in der Welt verbreitet.‹ Eines Tages suchte ihn der Archimandrit persönlich auf, er war ein strenger Starez und hatte in dem Kloster das Zusammenleben eingeführt. ›Was hast du?‹ fragt er ihn, sehr streng. ›Das habe ich‹, und mit diesen Worten schlug Maxim Iwanowitsch das Buch auf und deutete auf die Stelle:
Wer aber ärgert dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, da es am Tiefsten ist. (Matth. 18, 6)
    ›Ja‹, sagt der Archimandrit, ›auch wenn es hier nicht genau um dasselbe geht, so berührt es sich doch. Wehe, wenn der Mensch sein Maß verliert – dann ist dieser Mensch verloren. Und du bist dem Eigendünkel verfallen.‹
    Maxim Iwanowitsch sitzt da wie erstarrt. Der Archimandrit sieht ihn lange, lange an.
    ›Höre‹, sagt er, ›und behalte es. In der Schrift steht geschrieben: ‘ Die Worte eines Verzagten verweht der Wind .’ Und bedenke, daß auch die

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