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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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es sei denn, daß sie alle mehr oder weniger anrührend waren. Aber darunter gab es nicht nur rührende, sondern auch richtig lustige, sogar Spottgeschichten über Mönche, die einen lockeren Lebenswandel führten, so daß er beim Erzählen seiner Idee geradezu schadete – worauf ich ihn hinwies. Aber er verstand nicht, was ich damit sagen wollte. Manchmal war es sogar schwer zu begreifen, was ihn zum Erzählen anregte, so daß ich mich gelegentlich über diese Redseligkeit sogar wunderte und sie zum Teil seinem Alter und angegriffenen Zustand zuschrieb.
    »Er ist nicht mehr das, was er früher war«, flüsterte mir Werssilow einmal zu. »Früher war er nicht ganz so wie heute. Er wird bald sterben, viel eher, als wir glauben, und wir müssen darauf gefaßt sein.«
    Ich habe vergessen zu sagen, daß sich bei uns so etwas wie »Abende« eingespielt hatten. Außer Mama, die Makar Iwanowitsch nicht von der Seite wich, stellte sich jeden Abend Werssilow in seinem kleinen Zimmer ein; ich war immer da, denn wo sonst hätte ich sein können; in den letzten Tagen kam fast immer Lisa dazu, wenn auch später als die anderen und immer schweigend. Auch Tatjana Pawlowna tauchte regelmäßig auf, und manchmal erschien sogar der Arzt. Mit dem Arzt, das hatte sich plötzlich so ergeben, war ich inzwischen ausgesöhnt; es wurde keine enge Freundschaft, aber ich unterließ wenigstens die früheren Ausfälle. Mir gefiel seine Harmlosigkeit, die ich schließlich an ihm erkannt hatte, und ebenso seine Anhänglichkeit an unsere Familie, so daß ich mich schließlich entschloß, ihm seinen Medizinerhochmut zu verzeihen und ihm darüber hinaus Händewaschen und Nägelbürsten beizubringen, wenn er schon nicht geneigt war, frische Wäsche zu tragen. Ich hätte ihm unwiderlegbar auseinandergesetzt, daß dies mit Geckenhaftigkeit und irgendwelchen schönen Künsten nichts zu tun habe und daß Reinlichkeit ein notwendiger Bestandteil des ärztlichen Handwerks sei. Schließlich pflegte auch Lukerja aus ihrer Küche zu kommen und, hinter der Tür stehend, Makar Iwanowitschs Erzählungen zu lauschen. Werssilow hatte sie einmal hereingerufen und sie aufgefordert, sich zu uns zu setzen. Mir gefiel das; aber seitdem stand sie nicht mehr hinter der Tür. Jedem das Seine!
    Ich bringe hier eine Erzählung an, die erste beste, einzig deswegen, weil sie mir genauer in Erinnerung geblieben ist. Es ist die Geschichte eines Kaufmanns, und ich denke, daß solche Geschichten in unseren Städten und Städtchen zu Tausenden stattfinden, wenn man nur Augen im Kopf hat. Die Geschichte kann nach Wunsch übersprungen werden, zumal ich sie in seinem Stil wiedergebe.
    IV
    »Es ereignete sich bei uns, in der Stadt Afimjew, ein Wunder, von dem ich jetzt erzählen will. Ein Kaufmann lebte da, der nannte sich Skotobojnikow, Maxim Iwanowitsch, und es gab niemand Reicheren im ganzen Kreis als ihn. Eine Chintz-Fabrik hatte er dahin gestellt und beschäftigte ein paar Hundert Arbeiter, und sein Hochmut wuchs über alle Maßen. Und man muß sagen, daß alles schon auf seinen Wink geschah, und sogar die Obrigkeit legte ihm nichts in den Weg, und der Erzabt lobte seinen Eifer: Er pflegte viel für das Kloster zu stiften und seufzte schwer um seine Seele, wenn ihn eine solche Laune überkam, und bangte um das künftige Leben. Er war Witwer und kinderlos. Es ging das Gerücht, er habe seine Gattin gleich im ersten Ehejahr ins Jenseits befördert, weil er von Jugend an seinen Händen freien Willen ließ; schon vor langer Zeit war das geschehen; und eine neue Ehe wollte er nicht auf sich nehmen. Ein starker Trinker war er auch, und wenn seine Stunde gekommen war, dann rannte er betrunken splitternackt durch die Stadt und brüllte; und wenn es auch keine vornehme Stadt war, so hat es doch Anstoß erregt. Und wenn nun seine Stunde vorüber war, wurde er böse, und alles, was er entschied, war richtig, und alles, was er befahl, prächtig. Und mit den Leuten rechnete er nach seiner Willkür ab; da nimmt er das Rechenbrett, setzt die Brille auf die Nase und fragt: ›Was kriegste, Foma?‹ – ›Seit Weihnachten hab ich nicht abgerechnet, Maxim Iwanowitsch, neununddreißig Rubel hab ich zugut.‹ – ›Och, so viel Geld! Zu viel für dich, du bist es von Kopf bis Fuß nicht wert, das viele Geld steht dir nicht zu Gesicht: Zehn Rubel ab, neunundzwanzig – ausgezahlt.‹ Und der Mann schweigt; kein Mensch traut sich auch nur zu mucksen, alle schweigen.
    ›Ich weiß‹, sagt er,

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