Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Engel Gottes nicht vollkommen sind, und daß vollkommen und sündenlos einzig und allein unser Gott Jesus Christus ist, und Er ist es, dem die Engel dienen. Du hast den Tod dieses Kindes ja auch nicht gewünscht, sondern bist nur unverständig gewesen. Es ist nur eines‹, sagt er, ›das mir sogar wunderlich vorkommt: Hast du nicht wenige schlimmere Untaten in der Welt vollbracht, hast du nicht wenige Menschen an den Bettelstab gebracht, hast du nicht wenige verdorben, nicht wenige zugrunde gerichtet – und kommt das alles nicht einem Mord gleich? Und sind nicht vor ihm alle seine Schwestern gestorben, alle vier Mägdelein, beinahe vor deinen Augen? Wie kommt es denn, daß dieser einzige dich um deine Ruhe gebracht hat? All der früheren gedenkst du, wie ich annehme, doch ohne jedes Mitleid und hast sie gar aus dem Gedächtnis verbannt? Wie kommt es, daß du dich vor diesem Knäblein so fürchtest, an dem du dich nicht einmal am schlimmsten versündigt hast?‹
›Er erscheint mir im Traum‹, antwortete Maxim Iwanowitsch.
›Und weiter?‹
Aber nichts vertraute er ihm an, er sitzt da und schweigt. Da verwunderte sich der Archimandrit und fuhr unverrichteter Dinge von dannen: Für ihn war nichts mehr zu tun.
Und Maxim schickte nach dem Lehrer, nach Pjotr Stepanowitsch; seit jenem Tag hatten sie sich nicht mehr gesehen.
›Weißt du noch?‹ fragt er.
›Ich weiß noch‹, antwortet dieser.
›Du hast mit Ölfarbe hier in der Schenke Bilder gepinselt und das Porträt eines Erzpriesters kopiert. Kannst du mir mit Ölfarbe ein Bild malen?‹
›Ich‹, sagt er, ›kann alles; ich habe Talent zu allem, und ich kann alles.‹
›Male mir also ein Bild, ganz groß, wie die ganze Wand, und male mir darauf als erstes den Fluß, und den Weg hinunter, und die Anlegestelle der Fähre, und daß sämtliche Menschen, die damals dabei waren, alle auch dabei sind. Und die Obristin und ihre Tochter und auch dieser Igel. Und das andere Ufer mußt du mir auch malen, alles muß zu sehen sein, was es dort gibt: die Kirche und der Platz und die Läden und die Stelle, wo die Droschkenkutscher stehen – alles, was dort ist, mußt du malen. Und am Anlegeplatz der Knabe, dicht über dem Fluß, auf der richtigen Stelle, und daß er unbedingt die beiden Fäustchen an die Brust drückt, an die beiden Brustwärzchen. Das muß unbedingt sein. Und lasse über dem anderen Ufer, über der Kirche, den Himmel aufgehen und zeige, daß alle Engel im himmlischen Licht ihm entgegenfliegen. Kannst du das treffen oder nicht?‹
›Ich kann alles.‹
›Du brauchst dir nicht einzubilden, daß ich auf einen Trifon wie dich angewiesen bin, ich kann mir den ersten Maler aus Moskau kommen lassen oder sogar aus London, aber du weißt noch, wie sein Antlitz war. Wenn er dir nicht ähnlich oder nur wenig ähnlich gerät, so werde ich dir nur fünfzig Rubel geben, wenn er ganz ähnlich ausfällt, dann bekommst du zweihundert. Denke daran, er hatte himmelblaue Augen … Und das Bild muß ganz, ganz groß werden.‹
Alles war vorbereitet; Pjotr Stepanowitsch begann zu malen, aber plötzlich kam er noch einmal:
›Nein‹, sagte er, ›so kann ich es nicht malen.‹
›Wieso nicht?‹
›Weil diese Sünde, der Selbstmord, die schlimmste aller Sünden ist. Wie sollen die Engel ihm nach einer solchen Sünde entgegeneilen?‹
›Aber er ist doch ein Kleinkind, ihm wird es nicht angerechnet.‹
›Nein, er ist kein Kleinkind mehr, sondern schon ein Knabe: Er war bereits acht, als es geschah. Er muß also auf jeden Fall Rechenschaft ablegen.‹
Darauf entsetzte sich Maxim Iwanowitsch noch mehr.
›Also habe ich‹, sagte Pjotr Stepanowitsch, ›mir etwas anderes einfallen lassen: Den Himmel werden wir nicht öffnen, und die Engel brauchen wir auch nicht; statt dessen werde ich vom Himmel herab, gleichsam ihm entgegen, einen Strahl herunterlassen; einen einzigen lichten Strahl: So wird trotzdem etwas davon übrigbleiben.‹
Sie haben also den Strahl heruntergelassen. Ich habe selbst später, eine Weile danach, das Bild gesehen und diesen selbigen Strahl und den Fluß – die ganze Wand lang; ganz blau; und den lieben Knaben daneben, wie er beide Händchen an die Brust drückt, und das kleine Fräulein und das Igelchen – alles gut gelungen. Nur hat Maxim Iwanowitsch damals keinem Menschen das Bild gezeigt, sondern es in seinem Kabinett vor aller Augen verschlossen. Wie sehr man es auch in der Stadt gewünscht hat, seiner ansichtig zu werden: Er
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