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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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das Dokument einen Wechsel über dreißigtausend einstecken und darauf ihr helfen, den Fürsten einzuschüchtern, ihn zu entführen und sich mit ihm kurzerhand zu verheiraten – jedenfalls etwas dieser Art. Dafür wurde sogar ein ganzer Plan aufgestellt; man wartete nur auf meine Hilfe, das heißt auf das Dokument.
    Das zweite Projekt: Anna Andrejewna verraten, sie verlassen und das Papier an die Generalin Achmakowa verkaufen, falls dabei mehr herausspringt. Hier konnte man auch mit Bjoring rechnen. Aber bei der Generalin hatte Lambert noch nicht vorgesprochen, er hatte ihr nur nachspioniert. Und auch in diesem Fall auf mich gewartet.
    Oh, er war auf mich angewiesen, das heißt, nicht auf mich, sondern auf das Dokument! Im Hinblick auf mich hatte er ebenfalls zwei Pläne ausgeheckt. Der erste bestand darin, daß er, wenn es nun gar nicht anders ginge, mit mir zusammen handeln und mich mit der Hälfte abfinden würde, nachdem er sich sowohl moralisch als auch physisch meiner bemächtigt hätte. Aber den zweiten Plan fand er bei weitem verlockender; er bestand darin, daß er mich wie einen dummen Jungen übertölpelte, mir das Dokument entwendete oder es mir einfach mit Gewalt abnahm. Dieser Plan wurde von ihm bevorzugt und kehrte in seinen Träumen immer wieder. Ich wiederhole: Es gab einen bestimmten Umstand, weswegen er am Erfolg des zweiten Plans fast nicht mehr zweifelte, darauf werde ich aber, wie bereits angekündigt, erst später zu sprechen kommen. Jedenfalls wartete er auf mich mit krampfhafter Ungeduld: Alles hing von mir ab, alle seine Schritte und Entscheidungen.
    In einer Hinsicht muß man ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen: Er hielt sich lange zurück, ungeachtet seines hitzigen Temperaments. Er suchte mich während meiner Krankheit zu Hause nicht auf – und kam nur einmal, um Werssilow zu sehen; er regte mich nicht auf, er jagte mir keine Angst ein, er bewahrte mir gegenüber bis zu Tag und Stunde meines ersten Ausgehens den Schein vollkommenster Unabhängigkeit. Er konnte dessen ganz sicher sein, daß ich das Dokument weder aus der Hand geben, noch vernichten oder sein Geheimnis lüften würde. Aus meinen Worten bei ihm konnte er schließen, wie viel mir an dem Geheimnis lag und wie sehr ich mich fürchtete, jemand könne von dem Dokument erfahren. Und daß er und kein anderer der erste sei, den ich am ersten Tag nach meiner Genesung aufsuchen würde, unterlag für ihn keinem Zweifel: Nastassja Jegorowna hatte mich zum Teil auf seinen Befehl hin besucht, und er wußte, daß meine Neugier und Angst bereits erwacht waren und daß ich mich nicht würde beherrschen können … außerdem hatte er seine Maßnahmen getroffen, er konnte sogar den Tag meines ersten Ausgehens kennen, so daß ich ihm auf keine Weise hätte entschlüpfen können, auch wenn ich es gewünscht hätte.
    Aber wenn Lambert auch dringend auf mich wartete, so wartete Anna Andrejewna möglicherweise noch dringender. Ich sage es geradeheraus: Vielleicht war Lambert im Recht, wenn er bereit war, sie zu verraten, und die Schuld lag auf ihrer Seite. Ungeachtet ihrer eindeutigen Übereinkunft (in welcher Form, weiß ich nicht, aber ich zweifle nicht daran), war Anna Andrejewna bis zur allerletzten Minute ihm gegenüber nicht ganz aufrichtig. Sie blieb undurchschaubar. Sie deutete ihm ihr umfassendes Einverständnis an, auch mit allen möglichen Versprechungen, aber sie deutete es nur an; möglicherweise hat sie seinen gesamten Plan bis in alle Einzelheiten zur Kenntnis genommen, aber nur durch ihr Schweigen gutgeheißen. Ich verfüge über eindeutige Tatsachen, um dies schließen zu können, und der Grund dafür war, daß – sie auf mich wartete. Sie hatte vorgezogen, es lieber mit mir als mit dem Schurken Lambert zu tun zu haben – das ist für mich eine zweifelsfreie Tatsache! Das verstehe ich; und das war ihr Fehler. Aber schließlich – auch Lambert verstand es, und für ihn wäre es ganz und gar ungünstig gewesen, wenn sie ihn übergangen, mir das Dokument entlockt und eine Übereinkunft mit mir getroffen hätte. Außerdem war er zu diesem Zeitpunkt von dem Erfolg der »Sache« überzeugt. Jeder andere hätte an dieser Stelle gebangt und immer noch gezweifelt; Lambert dagegen war jung, dreist, ungeduldig in seiner Gier nach Bereicherung, von geringer Menschenkenntnis und setzte mit unerschütterlicher Sicherheit voraus, alle seien Schurken; jemand wie er fühlte sich über alle Zweifel erhaben, zumal es ihm gelungen war, Anna

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