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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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weil ich keinen Unterschied zwischen ihm und den anderen sehe. Ich halte ihn nicht für dümmer als die Klugen und nicht für böser als die Guten. Ich bin zu allen gleich, weil alle in meinen Augen gleich sind.«
    »Wie, und Sie sehen keine Unterschiede?«
    »Oh, natürlich, alle unterscheiden sich durch irgend etwas voneinander, aber in meinen Augen gibt es keine Unterschiede, weil die Unterschiede der Menschen mich nichts angehen; für mich sind alle und alles gleich, und deshalb bin ich gegen alle gleich gut.«
    »Und finden Sie das nicht langweilig?«
    »Nein, ich bin mit mir immer zufrieden.«
    »Sind Sie wunschlos?«
    »Wie sollte ich wunschlos sein? Nur nicht übermäßig. Ich habe fast keine Bedürfnisse und brauche keinen Rubel mehr, als ich habe. Ob ich ein goldenes Gewand trage oder ob ich so bin, wie ich bin – das ist egal; ein goldenes Gewand macht aus Wassin nicht mehr, als er ist. Ich beiße auf keinen Köder an: Gibt es denn Ämter oder Ehren, die meiner wert sind?«
    Lisa versicherte mir ehrenwörtlich, er habe dies buchstäblich einmal gesagt. Übrigens sollte man in diesem Fall nicht urteilen, solange man die Umstände nicht kennt, unter welchen es gesagt wurde.
    Allmählich kam Lisa zu dem Schluß, daß er auch dem Fürsten gegenüber vielleicht nur deshalb Nachsicht übe, weil für ihn alle gleich waren und keine Unterschiede existierten, aber keineswegs aus Sympathie für sie. Aber mit der Zeit verlor er sichtlich zunehmend seinen Gleichmut und urteilte über den Fürsten nicht nur tadelnd, sondern mit verächtlicher Ironie. Dies reizte Lisa, aber Wassin ließ sich nicht beschwichtigen. Vor allem drückte er sich gleichbleibend milde aus, ohne jede Entrüstung, selbst wenn er tadelte, und erklärte ihr logisch die ganze Armseligkeit ihres Helden; aber gerade diese Logik war nichts als Ironie. Endlich, beinahe unverhohlen, bewies er ihr die ganze »Unvernunft« ihrer Liebe, einer Liebe aus hartnäckiger Gewaltsamkeit gegen sich selbst. »Sie haben sich in Ihren Gefühlen verirrt, und Irrtümer, deren man sich einmal bewußt geworden ist, müssen unbedingt korrigiert werden.«
    Dies hatte sich gerade an jenen Tagen abgespielt; Lisa war entrüstet von ihrem Platz aufgesprungen und wollte gehen, aber was tat und womit endete dieser vernünftige Mensch? In der vornehmsten Haltung, sogar gefühlvoll, bot er ihr seine Hand an. Lisa nannte ihn ins Gesicht einen Dummkopf und war gegangen.
    Einer Frau den Verrat an einem Unglücklichen vorschlagen, weil dieser Unglückliche ihrer nicht wert sei und, vor allem, einer von diesem Unglücklichen schwangeren Frau – das ist die ganze Weisheit dieser Leute! Ich nenne das die fürchterlichste Abstraktheit und völlige Weltfremdheit, die in maßlosem Egoismus wurzelt. Zu allem Überfluß erkannte Lisa ganz deutlich, daß er auf sein Handeln sogar stolz war, und sei es nur darum, daß er von ihrer Schwangerschaft bereits wußte. Mit Tränen der Empörung war sie zu dem Fürsten geeilt – dieser aber brachte es fertig, Wassin noch zu übertrumpfen: Man könnte denken, ihre Erzählung hätte ihn davon überzeugt, daß er zur Eifersucht jetzt keinen Grund mehr hätte; er aber gebärdete sich wie wahnsinnig. Übrigens sind alle Eifersüchtigen darin gleich! Er machte ihr eine fürchterliche Szene und beleidigte sie so sehr, daß sie nahe daran war, auf der Stelle die Beziehungen zu ihm abzubrechen.
    Sie war beherrscht, als sie zu Hause ankam, aber es war ihr unmöglich, alles vor Mama zu verbergen. Oh, an diesem Abend waren sie sich wieder so nahe wie früher: Das Eis war gebrochen; beide weinten sich aus, während sie sich nach alter Gewohnheit umschlungen hielten, und Lisa schien sich zu beruhigen, obwohl sie sehr düster blieb. Den Abend verbrachte sie bei Makar Iwanowitsch, ohne ein Wort zu sprechen, aber immerhin blieb sie in seinem Zimmer. Sie hörte sehr aufmerksam zu, wenn er sprach. Seit dem Zwischenfall mit dem Bänkchen verhielt sie sich ihm gegenüber außerordentlich und irgendwie schüchtern ehrerbietig.
    Aber diesmal gab Makar Iwanowitsch dem Gespräch eine unerwartete und erstaunliche Wendung; ich muß bemerken, daß Werssilow und der Arzt sich am Vormittag mit sehr ernsten Gesichtern über seine Gesundheit unterhalten hatten. Und ich muß ebenfalls bemerken, daß man bei uns im Haus schon seit Tagen mit Vorbereitungen für das Geburtstagsfest Mamas beschäftigt war, das genau in fünf Tagen begangen werden sollte und über das man oft sprach.

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