Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
ich geneigt war, an seine Liebe zu dieser Frau zu glauben. Aber das ist es nicht … Und selbst wenn es so gewesen wäre, so könnte er jetzt, wie es aussieht, vollkommen gelassen sein … nach der Verabschiedung dieses Herrn.«
»Welches Herrn?«
»Bjorings.«
»Wer hat Ihnen von einer Verabschiedung erzählt? Vielleicht hatte dieser Herr noch nie einen solchen Stand wie heute«, sagte sie mit einem giftigen Lächeln; es kam mir sogar vor, als ob sie mich mit einem spöttischen Blick streifte.
»Das hat mir Nastassja Jegorowna gesagt«, murmelte ich in meiner Verlegenheit, die zu verbergen ich nicht imstande war und die sie sehr wohl bemerkte.
»Nastassja Jegorowna ist eine sehr nette Person, und ich kann ihr natürlich nicht verbieten, mich zu lieben, aber ihr fehlen alle Möglichkeiten, etwas zu erfahren, was sie nichts angeht.«
Da spürte ich auf einmal in meinem Herzen einen dumpfen Schmerz; und da sie es darauf angelegt hatte, meinen Unwillen zu entzünden, flammte dieser Unwille jetzt in mir auf, aber nicht gegen jene Frau, sondern einstweilen nur gegen Anna Andrejewna selbst. Ich erhob mich.
»Als ehrlicher Mensch muß ich Sie, Anna Andrejewna, warnen, daß Ihre Erwartungen … mir gegenüber … sich im höchsten Grade als vergeblich erweisen könnten …«
»Ich erwarte, daß Sie für mich eintreten.« Dabei sah sie mich fest an. »Für mich, die von allen Verlassene … Für Ihre Schwester, wenn Sie so wollen, Arkadij Makarowitsch!«
Es fehlte nicht viel, und sie hätte geweint.
»Sie sollten besser nichts erwarten, weil möglicherweise gar nichts geschieht«, stotterte ich unsäglich bedrückt.
»Wie soll ich Ihre Worte verstehen?« fragte sie irgendwie bemüht vorsichtig.
»Einfach so, daß ich euch alle verlasse und – basta«, rief ich plötzlich beinahe wütend, »und das Dokument – einfach zerreiße. Leben Sie wohl!«
Ich verbeugte mich und ging schweigend hinaus, wobei ich nicht wagte, ihr einen Blick zuzuwerfen; aber ich war noch nicht auf der Treppe, als mich Nastassja Jegorowna mit einem gefalteten halben Bogen Briefpapier einholte. Woher Nastassja Jegorowna kam und wo sie gesteckt hatte, als ich mich mit Anna Andrejewna unterhielt – ich habe keine Ahnung. Sie sagte nicht eine Silbe, sondern reichte mir nur das Papier und lief wieder zurück. Ich entfaltete das Blatt: Darauf stand in deutlicher und klarer Schrift Lamberts Adresse, es war offensichtlich schon vor einigen Tagen vorbereitet worden. Mir fiel plötzlich ein, daß ich, als Nastassja Jegorowna mich damals besuchte, ihr unter anderem gesagt hatte, ich wüßte nicht, wo Lambert wohne, aber nur in dem Sinne, daß ich es »nicht weiß und nicht wissen will«. Aber gegenwärtig kannte ich bereits Lamberts Adresse durch Lisa, die ich vorsorglich gebeten hatte, sich im Adreßbüro danach zu erkundigen. Das Vorgehen Anna Andrejewnas kam mir übermäßig entschieden, ja zynisch vor: Ungeachtet meiner Weigerung, sie zu unterstützen, schickte sie mich direkt zu Lambert, als glaubte sie mir nicht für eine Kopeke. Jetzt wurde es mir klar, daß sie bereits durch irgend jemand über das Dokument unterrichtet war – konnte es jemand anderer sein als Lambert, zu dem sie mich ja auch schickte, um das Nötige mit ihm zu vereinbaren?
“Sie alle, einer wie der andere, halten mich für einen dummen Jungen ohne Willen und Charakter, der mit sich alles machen läßt!” dachte ich voller Entrüstung.
II
Nichtsdestoweniger begab ich mich zu Lambert. Wie sollte ich mit meiner damaligen Neugierde anders fertig werden? Lambert logierte, wie sich herausstellte, sehr weit entfernt, in der Kossoj-Gasse, am Letnij-Park, immer noch in demselben Chambre garnie; aber als ich damals von ihm floh, habe ich so wenig auf Weg und Entfernung geachtet, daß ich vor vier Tagen, als ich seine Adresse von Lisa erhielt, sogar erstaunt war und fast nicht glauben wollte, daß er dort logiere. An der Tür zu den Chambres garnies, in der dritten Etage, bemerkte ich schon beim Hinaufsteigen zwei junge Männer und dachte, sie hätten bereits geläutet und warteten nur, bis ihnen geöffnet würde. Während ich die Stufen hinaufstieg, hatten beide, mit dem Rücken zur Tür, mich eingehend betrachtet. “Hier sind mehrere Chambres garnies, und sie wollen natürlich zu anderen Mietern”, dachte ich stirnrunzelnd, als ich mich ihnen näherte. Es wäre mir sehr unangenehm gewesen, bei Lambert jemand anzutreffen. Ich übersah sie gleichsam und streckte die
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