Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
eigenen Vergnügen. Es gibt schon Menschen auf der Welt, die einem ordentlich zusetzen.
    Ich blieb alleine sitzen und überlegte gut anderthalb Stunden; eigentlich überlegte ich nicht, sondern war nur in Gedanken versunken. Ich war bestürzt, aber kein bißchen überrascht. Ich wartete sogar auf Weiteres, auf noch größere Wunder. “Vielleicht sind sie inzwischen damit soweit”, dachte ich. Ich war fest und seit langem, schon zu Hause, davon überzeugt, daß ihre Maschinerie läuft und in vollem Gange ist. “Nur ich bin das einzige, was ihnen fehlt, das ist es”, dachte ich abermals mit aufgereizter und angenehmer Selbstzufriedenheit. Daß sie mich mit allen Fasern ihrer Seele erwarteten und daß sie sich vorgenommen hatten, irgend etwas Besonderes in meiner Behausung zu inszenieren – das war klar wie der Tag. “Doch nicht etwa die Hochzeit des alten Fürsten? Er wird ja förmlich eingekreist wie bei einer Treibjagd. Allerdings, ob ich das zulassen werde, meine Herrschaften? Das ist die Frage!” schloß ich, wiederum mit hochmütigem Vergnügen.
    “Ich brauche mich nur darauf einlassen, um sofort wie ein Holzspan vom Wasserstrudel erfaßt zu werden. Bin ich jetzt, in diesem Moment, frei oder nicht? Kann ich, wenn ich heute abend zu Mama zurückkehre, noch zu mir sagen, wie all diese letzten Tage: ‘Ich bin für mich?’”
    Das war die Essenz meiner Fragen oder, besser gesagt, meiner Herzschläge in jenen anderthalb Stunden, die ich in der Ecke, auf dem Bett sitzend, verbrachte, die Ellbogen auf die Knie und den Kopf in beide Hände gestützt. Aber ich wußte ja, ich wußte auch schon damals, daß alle diese Fragen – vollendeter Unsinn waren und daß es mir nur um sie ging – um sie, um sie allein! Endlich habe ich es offen ausgesprochen und mit der Feder auf das Papier geschrieben, denn sogar jetzt, da ich dies schreibe, nachdem ein Jahr vergangen ist, weiß ich immer noch nicht, wie ich mein damaliges Gefühl nennen soll!
    Oh, ich hatte Mitleid mit Lisa, und in meinem Herzen wütete aufrichtigster Schmerz! Schon dieser Schmerz um sie hätte, sollte man meinen, die Fleischlichkeit (schon wieder kommt mir dieses Wort auf die Zunge) zähmen oder auslöschen können, und wenn auch nur vorübergehend. Aber mich fesselten eine maßlose Neugier und eine Art Angst und noch ein weiteres Gefühl – ich weiß nicht, welches; aber ich weiß und wußte schon damals, daß es ein ungutes war. Vielleicht drängte es mich danach, ihr zu Füßen zu fallen, aber vielleicht auch, sie allen Qualen auszusetzen und ihr »schneller, schneller« etwas zu beweisen. Kein Mitleid und kein Schmerz um Lisa konnten mir noch Einhalt gebieten. Also, wie könnte ich mich erheben und nach Hause gehen … zu Makar Iwanowitsch?
    “Aber wäre es nicht möglich, nur zu ihnen zu gehen, alles von ihnen zu erfahren und sie plötzlich für immer zu verlassen, ohne Schaden durch Wunder und Monstren zu nehmen?”
    Um drei Uhr schreckte ich auf, da mir bewußt wurde, ich könnte mich verspäten; ich verließ eilig die Wohnung, hielt einen Droschkenkutscher an und flog zu Anna Andrejewna.

Fünftes Kapitel
    I
    Anna Andrejewna legte, kaum daß man mich gemeldet hatte, ihre Handarbeit zur Seite und kam mir eilig in ihr erstes Zimmer entgegen – was früher nie geschehen war. Sie streckte mir beide Hände entgegen und errötete. Schweigend führte sie mich weiter, setzte sich wieder an ihre Handarbeit und ließ mich neben ihr Platz nehmen; aber sie nähte nicht mehr, sondern fuhr fort, mich mit derselben heißen Anteilnahme zu betrachten, ohne auch nur ein Wort zu sagen.
    »Sie haben Nastassja Jegorowna zu mir geschickt«, begann ich ohne Umschweife, ein wenig verlegen angesichts einer solchen allzu effektvollen Anteilnahme, wenn ich sie auch als angenehm empfand. Sie begann plötzlich zu sprechen, ohne auf meine Frage einzugehen.
    »Ich habe alles gehört, ich weiß alles. Diese grauenhafte Nacht … Oh, wie müssen Sie gelitten haben! Ist es wahr, ist es wahr, daß man Sie, bereits ohne Besinnung, bei klirrendem Frost gefunden hat?«
    »Das hat Ihnen … Lambert …«, murmelte ich errötend.
    »Ich habe damals alles von ihm erfahren, aber ich habe auf Sie gewartet. Oh, er war so erschrocken, als er zu mir kam! In Ihrer Wohnung … das heißt dort, wo Sie krank lagen, weigerte man sich, ihn zu Ihnen zu lassen … und hat ihn sehr eigenartig empfangen … Ich weiß wirklich nicht, wie sich alles zugetragen hat, aber er hat mir alles

Weitere Kostenlose Bücher