Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
übervoll ist … Aber laß uns sprechen; die Stunde hat geschlagen, und ich bin schon lange verliebt in dich, mein Junge …«
Er warf sich in seinem Sessel zurück und sah mich noch einmal wohlgefällig an.
»Wie eigentümlich! Wie eigentümlich hört sich das an!« wiederholte ich, ertrinkend in einer Woge der Begeisterung.
Und da, plötzlich, ich weiß es noch genau, zeichnete sich flüchtig in seinem Gesicht der übliche Zug ab – etwa Trauer und Spott zugleich, der mir so gut bekannt war. Er nahm sich zusammen und begann mit einer gewissen Überwindung.
II
»Paß auf, Arkadij, auch wenn ich dich früher gerufen hätte, was hätte ich dir sagen sollen? In dieser Frage liegt meine ganze Antwort.«
»Das heißt, Sie wollen sagen, daß Sie jetzt Mamas Gatte und mein Vater sind … während damals … Sie hätten wegen der sozialen Situation nicht gewußt, was Sie mir früher hätten sagen können? Stimmt das?«
»Das war nicht das einzige, von dem ich nicht wußte, wie ich es dir sagen sollte: Da war vieles, wovon ich zu schweigen hatte. Da ist manches lächerlich und dadurch erniedrigend, daß es an einen Hokuspokus erinnert; wirklich, an einen veritablen Hokuspokus, wie auf dem Jahrmarkt. Wie hätte wir früher einander verstehen können, wenn ich mich selbst erst heute verstanden habe, erst heute, um fünf Uhr nachmittags, genau zwei Stunden vor Makar Iwanowitschs Tod. Du siehst mich unangenehm berührt und verständnislos an? Keine Sorge: Ich werde den Hokuspokus erklären; aber was ich gesagt habe, ist völlig berechtigt: Das ganze Leben besteht aus Wanderschaft und Verständnislosigkeit, und plötzlich – die Aufklärung am Soundsovielten, um fünf Uhr nachmittags! Das ist sogar kränkend, nicht wahr? In einer nicht allzu fernen Vergangenheit hätte ich mich geradezu beleidigt gefühlt.«
Ich hörte tatsächlich mit schmerzlicher Verständnislosigkeit zu; Werssilows früherer Zug, der mir an jenem Abend, nach den Worten, die bereits gefallen waren, keineswegs willkommen war, trat deutlich hervor. Plötzlich rief ich:
»Mein Gott, Sie haben etwas von ihr erhalten … um fünf Uhr, heute?«
Er sah mich aufmerksam an, offensichtlich über meinen Ausruf sehr erstaunt, vielleicht auch durch das »von ihr«.
»Du wirst alles erfahren«, sagte er mit einem nachdenklichen Lächeln, »ich werde natürlich das Notwendige vor dir nicht verheimlichen, denn deswegen habe ich dich ja hierher mitgenommen; aber einstweilen wollen wir all das ruhen lassen. Siehst du, mein Freund, ich weiß schon lange, daß es bei uns Kinder gibt, die sich von klein auf Gedanken über ihre Familie machen, gekränkt von der Ungestalt ihrer Väter und ihres Milieus. Mir sind diese Nachdenklichen schon in meiner Schulzeit aufgefallen, damals bin ich zu dem Schluß gekommen, als käme alles daher, daß sie zu früh neidisch würden. Bedenke allerdings, daß ich selbst zu diesen nachdenklichen Kindern gehörte, aber … entschuldige, mein Lieber, ich bin erstaunlich zerstreut. Ich wollte nur sagen, daß ich mir hier ständig deinetwegen Sorgen gemacht habe, fast diese ganze Zeit. Ich habe dich immer als einen dieser kleinen, aber ihrer Begabung bewußten und Einsamkeit suchenden Wesen angesehen. Ich habe, ebenso wie du, niemals Kameraden gemocht. Wehe diesen Wesen, die sich nur auf ihre eigenen Kräfte und Träume verlassen können und leidenschaftlich, viel zu früh, beinahe rachsüchtig nach Wohlgestalt dürsten, aber eben – ›rachsüchtig‹. Aber genug davon, mein Lieber. Ich schweife schon wieder ab … Ich habe schon früher, noch bevor ich dich liebgewonnen hatte, dich und deine einsamen, menschenscheuen Träume vor mir gesehen: Aber genug davon; ich habe eigentlich vergessen, wovon ich angefangen habe. Übrigens, all das mußte doch einmal ausgesprochen werden. Und vorher, vorher – was hätte ich dir sagen können? Jetzt sehe ich deinen Blick auf mir ruhen und weiß, daß mich mein Sohn ansieht; während ich doch, sogar noch gestern, nicht geglaubt hätte, daß ich irgendwann einmal, so wie heute, mit meinem Jungen zusammensitzen und sprechen würde.«
Er wirkte tatsächlich zunehmend zerstreut, zugleich aber irgendwie gerührt.
»Ich brauche jetzt nicht mehr zu träumen und zu schwärmen, jetzt habe ich genug an Ihnen! Ich werde Ihnen folgen!« sagte ich hingebungsvoll.
»Mir? Aber meine Streifzüge haben ja gerade ein Ende genommen, gerade heute. Du kommst zu spät, mein Lieber. Heute ist das Finale des
Weitere Kostenlose Bücher