Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Polstermöbeln eingerichtet, eine Art Kabinett für Lektüre und Schriftliches. Tatsächlich, auf dem Tisch, im Schrank und auf den Regalen gab es viele Bücher (die in Mamas Wohnung fast völlig fehlten); es gab beschriebenes Papier, es gab gebündelte Briefpakete – mit einem Wort, alles sah nach einem lange vertrauten Zufluchtsort aus, und ich weiß, daß Werssilow auch früher schon (wenn auch selten) sich von Zeit zu Zeit in diese Wohnung zurückgezogen hatte und dort sogar wochenlang geblieben war. Das erste, was meine Aufmerksamkeit fesselte, war Mamas Porträt, das in einem prachtvollen geschnitzten Rahmen aus kostbarem Holz über dem Schreibtisch hing – eine Photographie, natürlich im Ausland aufgenommen, ihrem ungewöhnlichen Format nach zu urteilen, die sehr teuer gewesen sein mußte. Ich hatte von diesem Porträt noch nicht gewußt und nichts darüber gehört, was mich aber am meisten überraschte – das war die ungewöhnliche, sozusagen geistige Ähnlichkeit – kurz, wie ein echtes Porträt aus der Hand eines Malers und nicht ein mechanischer Abdruck. Ich war, sobald ich eingetreten war, sofort unwillkürlich davor stehengeblieben.
»Nicht wahr? Nicht wahr?« wiederholte Werssilow plötzlich hinter mir. Das sollte heißen: “Wie ähnlich? Nicht wahr?” Ich sah mich nach ihm um und war überrascht von dem Ausdruck seines Gesichts. Es war etwas bleich, aber mit einem glühenden, gespannten Blick, der vor Glück und Kraft zu leuchten schien: Einen solchen Ausdruck hatte ich bei ihm noch nie gesehen.
»Ich wußte nicht, daß Sie Mama so lieben«, entfuhr es mir in meiner plötzlichen Begeisterung.
Er lächelte selig, wenn auch in seinem Lächeln etwas gleichsam Leidendes widerschien oder, besser gesagt, etwas Humanes, Höheres … Ich kann es nicht richtig ausdrücken; aber höherentwickelte Menschen können, wie mir scheint, niemals ein triumphierendes und frohlockend glückliches Gesicht zeigen. Ohne mir zu antworten, nahm er mit beiden Händen das Porträt von den Ringen ab, hielt es vor sein Gesicht, küßte es und hing es wieder an die Wand.
»Achte darauf«, sagte er, »photographische Aufnahmen geraten außerordentlich selten so, daß sie ähnlich sind. Und das ist verständlich: Das Original, das heißt, jeder von uns, ist außerordentlich selten sich selbst ähnlich. Nur in seltenen Augenblicken drückt das menschliche Gesicht seinen eigentlichen Grundzug aus, den ihm eigenen charakteristischen Gedanken. Der Maler studiert das Gesicht und liest seinen Grundgedanken ab, auch wenn in dem Moment, da er malt, dieser Gedanke fehlen sollte. Die Photographie aber überrascht den Menschen so, wie er gerade ist, und es ist durchaus möglich, daß Napoleon in manchem Augenblick dümmlich und Bismarck zärtlich gerät. Hier aber, auf diesem Porträt, hat die Sonne, wie mit Absicht, Sonja in ihrem wesentlichsten Zug überrascht – in ihrer schüchternen, sanften Liebe und ihrer ein wenig scheuen, furchtsamen Keuschheit. Und wie glücklich sah sie damals aus, als sie sich endlich überzeugte, daß ich mir ein Porträt von ihr glühend wünschte! Diese Aufnahme ist vor nicht allzu langer Zeit gemacht worden, und doch war sie damals jünger und schöner; aber schon waren diese eingefallenen Wangen da und diese Fältchen auf der Stirn und diese scheue Furchtsamkeit im Blick, die jetzt mit den Jahren zunimmt – je länger, je mehr. Glaubst du, mein Junge, ich kann sie mir jetzt mit einem anderen Gesicht nicht mehr vorstellen, aber sie war doch einmal auch jung und reizend! Die russischen Frauen altern schnell, ihre Schönheit scheint nur kurz auf, und das liegt gewiß nicht an den ethnischen Besonderheiten ihres Typus, sondern auch daran, daß ihre Liebe rückhaltlos ist. Die russischen Frauen geben alles auf einmal, wenn sie lieben – das Jetzt und das Schicksal, die Gegenwart und die Vergangenheit: Sie können nicht haushalten, keine Vorräte horten, und ihre Schönheit geht bald in den über, den sie lieben. Diese eingefallenen Wangen – auch sie sind in mich übergegangene Schönheit, mir zur Kurzweil. Du freust dich, daß ich deine Mama geliebt habe, und hast vielleicht nicht einmal geglaubt, daß ich sie geliebt habe? Ja, mein Freund, ich habe sie sehr geliebt; aber ihr außer Bösem nichts gebracht … Hier, noch ein Porträt – sieh es dir auch an.«
Er nahm es vom Tisch und reichte es mir. Es war ebenfalls eine Photographie, ungleich kleineren Formats, in einem schmalen, ovalen
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