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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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aber mit einem endgültigen Entschluß im Herzen in meiner Wohnung ankam. Ich hatte mich nicht beeilt, ich wußte schon, wie ich mich verhalten würde. Aber plötzlich, kaum hatte ich unseren Korridor betreten, als ich auch schon begriff, daß ein neues Unglück hereingebrochen und eine ungewöhnliche Komplikation eingetreten war: Der alte Fürst, der soeben aus Zarskoje Selo hergebracht worden war, befand sich in unserer Wohnung, und Anna Andrejewna war bei ihm!
    Sie hatten ihn nicht in meinem Zimmer untergebracht, sondern in den beiden Räumen der Wirtsleute, unmittelbar neben mir. Erst am Tag vorher waren in diesen Zimmern einige Änderungen und Verschönerungen vorgenommen worden, übrigens völlig unerhebliche. Der Vermieter war mit seiner Frau in die Kammer des launischen pockennarbigen Mieters, den ich früher schon erwähnt habe, umgezogen, und der pockennarbige Mieter war für diese Zeit ausgesiedelt worden – wohin, weiß ich nicht.
    Mein Vermieter, der gleich hinter mir in mein Zimmer schlüpfte, empfing mich. Sein Blick war nicht mehr so entschlossen wie gestern, aber er war in einer ungewöhnlich erregten Verfassung, sozusagen auf der Höhe des Ereignisses. Ich sagte kein Wort, trat in eine Ecke des Zimmers und blieb dort, den Kopf in beide Hände vergraben, etwa eine Minute reglos stehen. Zuerst hat er wohl gedacht, ich »mache Theater«, aber schließlich hielt er es nicht mehr aus und erschrak.
    »Ist Ihnen denn irgend etwas nicht recht?« murmelte er. »Ich habe auf Sie gewartet, um Sie zu fragen«, fügte er hinzu, als er sah, daß ich nicht antwortete. »Möchten Sie vielleicht hier diese Tür öffnen, wegen des direkten Zugangs zu den fürstlichen Gemächern … statt über den Korridor?« Er deutete auf die seitliche, stets verschlossene Tür, die zu seinen eigenen Räumen führte, das heißt, nunmehr zu dem Zimmer des Fürsten.
    »Folgendes, Pjotr Ippolitowitsch«, wandte ich mich plötzlich mit strenger Miene ihm zu, »ich bitte Sie ergebenst, Anna Andrejewna aufzusuchen und sie umgehend zu einer Unterredung hierherzubitten. Sind sie schon lange hier?«
    »Es wird schon eine gute Stunde sein.«
    »Also gehen Sie.«
    Er ging und brachte die sonderbare Antwort zurück, Anna Andrejewna und Fürst Nikolaj Iwanowitsch würden mich mit Ungeduld bei sich erwarten: Das bedeutete, daß Anna Andrejewna nicht gewillt war, mir die Ehre zu erweisen. Ich ordnete und bürstete meine von der Nacht verknitterten Kleider, wusch und kämmte mich, ohne mich sonderlich zu beeilen, und begab mich in dem Bewußtsein, daß ich vorsichtig sein müsse, zu dem alten Herrn.
    Der Fürst saß auf dem Sofa hinter dem runden Tisch, und in der anderen Ecke goß Anna Andrejewna an dem anderen, mit einem Tuch bedeckten Tisch, auf dem der noch nie so blank geputzte Samowar unserer Vermieter kochte, Tee für ihn auf. Ich trat mit der gleichen strengen Miene im Gesicht ein, und als der liebe alte Mann dies sofort bemerkte, fuhr er förmlich zusammen, und sein Lächeln schlug sofort in Schrecken um; darauf hielt ich es nicht länger aus, lachte und streckte ihm die Hände entgegen; der Bedauernswerte stürzte sich förmlich in meine Arme.
    Es gab keinen Zweifel, ich begriff sofort, mit wem ich es zu tun hatte. Erstens, es wurde mir klar wie zwei mal zwei gleich vier, daß man aus dem noch rüstigen und immerhin einigermaßen vernünftigen alten Mann, mit einem immerhin eigenen Charakter, in der Zwischenzeit, während der wir uns nicht gesehen hatten, eine Mumie, ein richtiges Kind gemacht hatte, eingeschüchtert und mißtrauisch. Ich füge hinzu: Er wußte ganz genau, weshalb man ihn hergebracht hatte, und alles spielte sich genau so ab, wie ich es oben vorausgesagt habe. Man hatte ihn plötzlich mit der Nachricht vom Verrat seiner Tochter und vom Irrenhaus konfrontiert, ihn überrumpelt, überfahren. Er hatte sich wegbringen lassen und wußte in seinem Schrecken nicht genau, was er tat. Man hatte ihm gesagt, ich sei im Besitz eines Geheimnisses und des Schlüssels zur endgültigen Entscheidung. Ich sage vorab: Es gab nichts auf der Welt, was er mehr fürchtete als die endgültige Entscheidung und den Schlüssel dazu. Er hatte erwartet, daß ich so vor ihn hintreten werde, mit einem Urteil auf der Stirn, mit einem Papier in der Hand, und freute sich schrecklich, daß ich statt dessen zum Lachen und zum unverfänglichen Plaudern aufgelegt war. Als wir uns in den Armen lagen, begann er zu weinen. Ich gestehe, daß auch ich ein paar

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