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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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wissen. Namentlich Ihre Gedanken, Ihre eigentliche Meinung ist für mich unverzichtbar.«
    »Sie verlangen viel von mir. Mir scheint, dieser Mensch ist fähig, riesige Forderungen an sich zu stellen und sie vielleicht auch zu erfüllen, jedoch jede Rechenschaft zu verweigern.«
    »Das ist richtig, sehr richtig, er ist – ein stolzer Mensch! Aber ist er auch ein reiner Mensch? Hören Sie, was halten Sie von seinem Katholizismus? Aber ich habe ja ganz vergessen, daß Sie vielleicht gar nicht wissen, daß …«
    Wäre ich nicht so aufgeregt gewesen, hätte ich ihn nicht mit solchen Fragen bombardiert, und so unüberlegt, einen Menschen, mit dem ich noch nie gesprochen und von dem ich nur gehört hatte. Ich wunderte mich, daß Wassin meine Verrücktheiten nicht zu bemerken schien!
    »Ich habe schon davon gehört, weiß aber nicht, wieviel Wahres daran ist«, antwortete er ebenso ruhig und gelassen wie bisher.
    »Nicht das geringste! Die Behauptung ist unwahr! Sie denken doch nicht allen Ernstes, daß er an Gott glauben kann?«
    »Er ist ein sehr stolzer Mensch, wie Sie eben selbst gesagt haben, und viele der sehr stolzen Menschen glauben gerne an Gott, besonders die Menschenverächter unter ihnen. Sehr vielen starken Menschen ist, wie mir scheint, ein natürliches Bedürfnis eigen – jemand oder etwas zu finden, vor dem man das Knie beugen muß. Einem starken Menschen fällt es manchmal sehr schwer, seine eigene Stärke zu ertragen.«
    »Hören Sie, das ist wahrscheinlich furchtbar richtig!« rief ich abermals aus, »ich möchte nur sehr gern verstehen …«
    »Die Ursache liegt auf der Hand: Sie entscheiden sich für Gott, um das Knie nicht vor den Menschen zu beugen – ohne selbst zu wissen, was in ihnen vorgeht: Vor Gott die Knie zu beugen ist weniger entwürdigend. Unter ihnen finden sich enthusiastisch, feurig Glaubende – genaugenommen, enthusiastisch den Glauben Herbeisehnende; ihr Sehnen aber halten sie bereits für den Glauben. Manche unter ihnen enden schließlich als Enttäuschte. Herr Werssilow besitzt, wie ich denke, auch einige außerordentlich aufrichtige Charakterzüge. Und überhaupt fand ich ihn interessant.«
    »Wassin!« rief ich aus. »Sie machen mir Freude! Ich staune, nicht über Ihren Verstand, ich staune darüber, daß Sie, ein so reiner und mich so unermeßlich überragender Mensch – daß Sie es fertigbringen, an meiner Seite zu gehen und sich so schlicht und höflich mit mir zu unterhalten, als wäre gar nichts vorgefallen!«
    Wassin lächelte.
    »Sie loben mich übermäßig, und alles, was vorgefallen ist, liegt an Ihrer übermäßigen Vorliebe für abstrakte Diskussionen. Sie haben wahrscheinlich vorher sehr lange geschwiegen.«
    »Ich habe drei Jahre lang geschwiegen, ich habe mich drei Jahre auf das Sprechen vorbereitet … Als dumm (auch wenn kein Mensch sich hätte dümmer benehmen können) konnte ich Ihnen natürlich nicht erscheinen, weil Sie selbst außerordentlich klug sind, aber als nichtswürdig!«
    »Nichtswürdig?«
    »Aber ja, ohne jeden Zweifel! Müssen Sie mich nicht insgeheim verachten, weil ich erzählt habe, daß ich Werssilows Bastard bin … Und auch noch damit geprahlt habe, der Sohn eines Hofknechts zu sein?«
    »Sie quälen sich zu sehr. Wenn Sie finden, Sie hätten schlecht geredet, brauchen Sie es nur beim nächsten Mal nicht wieder zu sagen: Sie haben noch fünfzig Jahre vor sich.«
    »Oh, ich weiß, ich muß unter Menschen sehr schweigsam sein. Das gemeinste aller Laster ist es, sich den Menschen an den Hals zu werfen; das habe ich vorhin denen gesagt, und nun werfe ich mich selbst Ihnen an den Hals! Aber da gibt es doch einen Unterschied, nicht wahr? Wenn Sie diesen Unterschied anerkannt haben, wenn Sie fähig waren, ihn zu erkennen, dann werde ich diesen Augenblick segnen!«
    Wassin lächelte wieder.
    »Besuchen Sie mich, wenn Sie es wünschen«, sagte er. »Ich habe jetzt eine Arbeit und habe viel zu tun, aber ich würde mich freuen.«
    »Ich habe vorhin aus Ihrer Physiognomie gelesen, daß Sie einen starken und wenig mitteilsamen Charakter haben.«
    »Das ist vielleicht sogar zutreffend. Ich habe Ihre Schwester, Lisaweta Makarowna, kennengelernt, im letzten Jahr, in Luga … Kraft ist stehengeblieben und scheint auf Sie zu warten; er wohnt um die Ecke.«
    Ich drückte kräftig Wassins Hand und lief Kraft nach, der immer vor uns weitergegangen war, solange Wassin und ich uns unterhalten hatten. Schweigend erreichten wir seine Wohnung; ich wollte

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