Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
karikierend, den Zeigefinger an die Nasenspitze hielt. Gerade das war es, worauf sowohl der Kaufmann als auch der Lakai und alle anderen in ein außerordentlich lautes und ungeniertes Lachen ausbrachen. Es ist unbegreiflich, worüber die Leute bisweilen lachen. Auch ich trat hinzu – und es ist unbegreiflich, was an diesem jungen Mann mich gleichsam anzog; vielleicht ein krasser Verstoß gegen allgemeingültige, hohl gewordene Anstandsregeln – mit einem Wort, ich habe den Dummkopf nicht erkannt. Indessen ging ich zum Du über und erfuhr von ihm, beim Aussteigen, daß er abends, nach acht, auf dem Twerskoj Boulevard zu treffen wäre. Es stellte sich heraus, daß er ein ehemaliger Student war. Ich kam auf den Boulevard, und er brachte mir Folgendes bei: Wir promenierten zu zweit über sämtliche Boulevards, hielten am Abend Ausschau nach einer anständig aussehenden Frau und machten uns sogleich an sie heran, aber nur, wenn keine Passanten in der Nähe waren. Ohne sie auch nur mit einem Wort anzusprechen, hängten wir uns links und rechts an sie und begannen mit der größten Gelassenheit, als bemerkten wir sie gar nicht, eine denkbar anzügliche Unterhaltung. Wir nannten Dinge beim Namen, mit der harmlosesten Miene, als hätte es so seine Richtigkeit, und verstiegen uns, indem wir die verschiedensten Obszönitäten und Schweinereien erörterten, zu einem Raffinement, wie es die schmutzigste Phantasie des schmutzigsten Wüstlings nicht hätte erreichen können. (Ich hatte mir natürlich solche Kenntnisse noch in der Schule erworben, sogar noch vor dem Gymnasium, aber nur verbal, nicht in der Praxis.) Die Frau erschrak über die Maßen, ging immer schneller, aber auch wir beschleunigten unsere Schritte und – blieben bei dem Thema. Unser Opfer konnte sich natürlich nicht wehren, jedenfalls nicht um Hilfe rufen: Zeugen waren nicht zur Stelle, und Beschuldigungen wären irgendwie befremdlich gewesen. Mit diesem Treiben vergingen etwa acht Tage; und ich begreife nicht, wie mir so etwas gefallen konnte; es hat mir ja auch nicht gefallen, ich tat es nur so. Zuerst kam mir dies originell vor, gleichsam als eine Übertretung der alltäglichen, hohlen Konventionen; außerdem konnte ich Frauen nicht ausstehen. Eines Tages erzählte ich dem Studenten, daß Jean-Jacques Rousseau in seinen »Confessions« gesteht, er habe es bereits als Jüngling geliebt, heimlich, hinter einer Ecke, die üblicherweise verborgenen Körperteile zu entblößen und die vorübergehenden Frauen auf diese Weise zu erschrecken. Der Student antwortete mir mit seinem »Tür-lürlü«. Ich bemerkte, daß er völlig ignorant war und sich für erstaunlich weniges interessierte. Von einer heimlichen Idee, die ich bei ihm zu finden erwartet hatte, konnte nicht die Rede sein. Statt Originalität fand ich lediglich erdrückende Monotonie vor. Ich mochte ihn weniger und weniger. Endlich nahm das alles ein völlig unerwartetes Ende: Einmal hängten wir uns, es war schon dunkel, an ein ganz junges Mädchen, das rasch und schüchtern über den Boulevard lief, höchstens sechzehn oder noch jünger, sehr reinlich und bescheiden gekleidet, das vielleicht von seiner Hände Arbeit lebte und nun von der Arbeit nach Hause eilte, zu seiner betagten Mutter, einer armen, kinderreichen Witwe; aber ich möchte nicht gefühlvoll werden. Das junge Mädchen hörte eine Weile zu und eilte mit gesenktem Kopf und heruntergelassenem Schleier weiter, zitternd und bebend, aber plötzlich blieb es stehen, schlug den Schleier vor seinem durchaus hübschen, soweit ich mich erinnere, wenn auch mageren Gesicht zurück und rief uns mit funkelnden Augen zu:
    »Ach, was seid ihr für Schufte!«
    Vielleicht war sie auch den Tränen nahe, aber es geschah etwas ganz anderes: Sie holte aus und versetzte mit ihrer kleinen, hageren Hand dem Studenten eine solche Ohrfeige, wie sie geschickter vielleicht noch nie plaziert worden war. Es knallte förmlich! Er fluchte und wollte sich schon auf sie stürzen, aber ich hielt ihn zurück, und das Mädchen konnte fliehen. Wir blieben allein und gerieten auf der Stelle in Streit: Ich packte mit allem aus, was sich in mir gegen ihn gesammelt hatte; ich packte damit aus, daß ich ihn nur für ein jämmerlich unbegabtes und banales Subjekt hielte und daß er noch nie auch nur die Andeutung einer Idee in sich getragen hätte. Er schmähte mich … (ich hatte ihn einmal darüber aufgeklärt, daß ich unehelich geboren war), darauf kehrten wir einander den

Weitere Kostenlose Bücher