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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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zu verwandeln. Schlechte Eindrücke lassen sich zu meinem Bedauern nicht so bald überwinden, obwohl ich nicht nachtragend bin. Als ich eintrat, hatte ich den flüchtigen Eindruck, daß meine Mutter sofort den Faden der, wie es schien, sehr angeregten Unterhaltung mit Tatjana Pawlowna fallenließ. Meine Schwester war von der Arbeit erst eine Minute vor mir nach Hause gekommen und hatte ihr Kämmerchen noch nicht verlassen.
    Diese Wohnung bestand aus drei Zimmern. Der Raum, in dem sich gewöhnlich alle aufhielten, das Mittelzimmer oder der Salon, war ziemlich groß und fast anständig eingerichtet. Immerhin war er mit weichen roten Sofas, übrigens sehr abgenutzten (Werssilow konnte Schonbezüge nicht ausstehen), mit einigen Teppichen, Tischen und Tischchen ohne eigentliche Funktion eingerichtet. Rechts lag das Zimmer Werssilows, eng und schmal, mit einem Fenster; dort befand sich ein kläglicher Schreibtisch mit einigen unbenützten Büchern und liegengelassenen Akten darauf, und vor dem Schreibtisch ein nicht minder kläglicher Polstersessel mit einer gebrochenen, hervorstehenden Sprungfeder, über die Werssilow sich oft beklagte und schimpfte. In diesem Kabinett wurde auf dem weichen und ebenfalls arg mitgenommenen Sofa auch sein Bett aufgeschlagen; er haßte dieses Kabinett und tat anscheinend dort nie etwas, sondern zog es vor, stundenlang müßig im Salon zu sitzen. Links vom Salon befand sich ein ebensolches Zimmer, dort schliefen meine Mutter und meine Schwester. Den Salon betrat man vom Korridor aus, der mit der Tür in die Küche endete, wo die Köchin Lukerja hauste; wenn sie kochte, verbreitete sich der Qualm von angebrannter Butter unbarmherzig in der ganzen Wohnung. Es kam vor, daß Werssilow sein Los und sein Leben wegen dieser Küchendünste laut verwünschte, und das war der einzige Punkt, in dem ich ihm uneingeschränkt zustimmte; ich hasse diese Gerüche ebenfalls, auch wenn sie damals nicht bis zu mir vordrangen: Ich wohnte ganz oben, in einem Dachstübchen, wohin man über eine außerordentlich steile und knarrende Stiege gelangte. Dort gab es an Bemerkenswertem – ein halbrundes Fenster, eine tief herunterhängende Decke, ein Wachstuchsofa, auf dem Lukerja mir für die Nacht ein Laken ausbreitete und ein Kissen hinlegte, und an sonstigen Möbeln nur zwei Gegenstände: einen ganz einfachen ungestrichenen Tisch und einen Korbstuhl mit durchgesessenem Sitz.
    Übrigens waren uns trotzdem Reste eines gewissen längst vergangenen Komforts geblieben; im Salon eine gar nicht üble Porzellanlampe und an der einen Wand ein großer ausgezeichneter Stich der Dresdner Madonna, und genau gegenüber, an der anderen, eine teure Photographie der gegossenen Bronzetüren des Florentiner Doms im Riesenformat. Im selben Raum hing in der Ecke ein großer Ikonenschrein mit alten Familienikonen, darunter eine (die Allerheiligen) in einem vergoldeten massiven Silber-Oklad, dieselbe, die seinerzeit versetzt werden sollte, und eine andere (die Mutter Gottes) mit einem perlenbestickten Samtgewand. Vor den Ikonen hing das Ewige Licht, das am Vorabend jedes Feiertags angezündet wurde. Werssilow verhielt sich gegenüber den Ikonen, was ihren Sinn betraf, offensichtlich gleichgültig und runzelte nur gelegentlich die Stirn, wenn das Ewige Licht sich in dem vergoldeten Oklad spiegelte, beherrschte sich offensichtlich und begnügte sich nur mit einer leisen Klage, es schade seinen Augen, hinderte meine Mutter aber nicht daran, es anzuzünden.
    Ich betrat gewöhnlich schweigend und finster das Zimmer, den Blick in irgendeine Ecke gerichtet und gelegentlich, ohne zu grüßen. Ich pflegte sonst früher zurückzukehren und ließ mir mein Essen nach oben bringen. Aber als ich jetzt das Zimmer betrat, sagte ich: »Guten Tag, Mama«, was ich früher nie getan hatte, obwohl ich auch dieses Mal, immer noch verlegen, es nicht über mich bringen konnte, sie dabei anzusehen, und ließ mich in dem gegenüberliegenden Ende des Zimmers nieder. Ich war sehr müde, aber daran dachte ich nicht.
    »Euer Flegel hat immer noch nicht gelernt, hier anders als ein Trampel zu erscheinen«, zischte darauf Tatjana Pawlowna; sie hatte mich auch schon früher mit allerlei Schimpfworten bedacht, und das war inzwischen Gewohnheit geworden.
    »Guten Tag …«, antwortete meine Mutter, durch meinen Gruß anscheinend verlegen geworden.
    »Das Essen ist längst fertig«, fügte sie fast unsicher hinzu, »hoffentlich ist die Suppe noch nicht kalt, und die

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